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KunstNichts hören und nichts sehen

Es ist Art Forum in Berlin, und deshalb wird auch wieder zum Galerienrundgang geladen. Der mehrt zwar nicht gerade den Ruhm der Organisatoren, ist aber typisch für den Berliner Kunstbetrieb.

Das Art Forum Berlin bietet solche Perlen wie diese Videoinstallation von Bjørn Melhus - jetzt müssten sich nur noch Kunstführer finden, die geeignet sind, dies Besuchern auch näher zu bringen. Bild: Bjørn Melhus

Sechs Leute stehen verlegen in der Galerie "Zone B" in der Brunnenstraße. Der Galerist hat vergessen zu kommen, die zufällig anwesende Künstlerin hat keine Lust, etwas zu ihrem Werk zu sagen. Der zuständige Kunstvermittler ringt mit seinem Schulenglisch um passende Worte. "Eigentlich wurde diese Tour nur auf Deutsch angeboten", sagt er verzweifelt.

Trotzdem sind zwei Damen aus Paris und Seoul in die Brunnenstraße gekommen. Sie haben 26 Euro für einen dreistündigen Rundgang durch den Galerienstandort Mitte-Tiergarten gezahlt. Jetzt warten sie auf ein paar erklärende Worte zu den verschrobenen Kohlezeichnungen von Antje Dorn. Doch die verschwindet mit den Worten "not today". Zurück bleibt der sprachlose Kunstvermittler, der vor dem Begriff "rätselhaft" kapituliert und vorschlägt: "Lets go to the next place".

Nebenan bei "Colectiva" wird es nicht besser. Dem Galeristen fällt nicht viel mehr ein zu seinem polnischen Jungmaler, als die Entstehungszeit seiner Werke zu referieren. Dem Kunstvermittler scheint hingegen erwähnenswert, dass die Formate der Gemälde außergewöhnlich, weil selten rechteckig seien. Die unterm Neonlicht ausgetauschten Floskeln sind so banal, dass man sich in einer Satire auf den Kunstbetrieb wähnt.

Leider ist alles ernst gemeint. Bereits zum dritten Mal organisiert der Landesverband Berliner Galerien solche Galerieführungen anlässlich des Art Forums. Das Ziel ist, Besuchern "Hintergrundinformationen zu den neuesten Entwicklungen der Berliner Kunstszene" zu vermitteln - und Werbung auch für abgelegene und kleine Galerien zu machen. Sechs Touren füh- ren durch die Trendbezirke Mitte und Kreuzberg, aber auch nach Schöneberg und Tiergarten. Für Kunsttouristen wie die Pariser Sammlerin und die südkoreanische Galeristin die perfekte Gelegenheit, Geheimtipps zu sammeln. Eigentlich.

Nach der Brunnenstraße steht die Heidestraße auf dem Programm. Dort eröffnen die Ukrainespezialisten von Bereznitsky ihre neue Dependance. Leider ist der Kunstvermittler unschlüssig über den schnellsten Weg. Mit der U-Bahn? Oder doch lieber laufen und dann die Tram? Der resoluten Pariserin reicht es, sie winkt ein Taxi heran. "Vier Galerien in drei Stunden sind zu wenig", bestimmt sie. "Wir müssen das Tempo erhöhen."

Das muss auch die Galerie Bereznitsky, die wenige Stunden vor ihrer Eröffnung noch eine Baustelle ist. Über Bretter geht es ins Innere, wo die Fotografien der Künstlerin Julia Kissina noch eingepackt an der Wand lehnen. Doch Künstlerin, Galerist und Übersetzerin legen sich vereint ins Zeug, enthüllen Bilder, erläutern Belichtungstechnik und Motive der parodistischen Horrorfilmszenen. Der Galerist informiert über die Stellung ukrainischer Kunst auf dem Markt und erklärt sein Raumkonzept. Und der Vermittler? Hat längst die Regie aus der Hand gegeben.

Über den weiteren Verlauf der Tour bestimmen die Besucherinnen gleich selbst: Vor dem Mittagessen noch einen Abstecher in die "Schaustelle" in der Lehrter Straße, dann ist die Schau der "Berliner Liste" am Kudamm dran. Das Konzept, achtzig Galerien in Hotelräumen zu präsentieren, kennt man aus New York.

"Do you think its nice to live around here?", fragt die Pariserin zweifelnd, als wir in der unglamourösen Lehrter Straße halten. Immerhin hat Karen Irmer, die grobkörnige Winterlandschaften zeigt, beim berühmten Mike Scully studiert. Fast schon ein Insidertipp.

In der "Schaustelle" wartet allerdings auch eine Inspekteurin des Landesverbands. Warum die Teilnehmerinnen keine Info-Taschen bekommen hätten, fragt sie. Und warum man nicht das Galerienhaus Heidestraße 50 besucht habe? Die aber kennt der Kunstvermittler gar nicht. In Paris und Seoul wird man sich wohl demnächst über die Kunstservicewüste Deutschland auslassen. Zu Recht.

Rundgänge bis 2. 11. unter

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