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Kunst als HandlungTanz bleibt Tanz

Alles durchdacht: Installationen, Objekte und Performances der Choreographin Sasha Waltz im Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientechnlogie.

Henry Purcell, „Dido & Aeneas“, Choreographische Oper von Sasha Waltz, 2005 Bild: Sebastian Bolesch/ZKM

Eigentlich hätte sie keine Führung machen sollen. Sasha Waltz sagt das mehr zu sich selbst. Der Rundgang durch ihre Ausstellung im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) ist schnell vorbei. Alles ist durchdacht, alles hat eine Dramaturgie: Zu Beginn der im Rücken des Podiums sich langsam mit Luft füllende, riesige weiße Kubus, die „Cloud“. Sie ist Bühnenbild und Material einer Tanz-Sequenz aus Waltz’ Produktion „nobody“, in der skulpturale Themen wie das Spiel zwischen Innen und Außen, Schwerkraft, Volumen und Oberfläche tänzerisch erkundet und nahezu surreale Bilder erzeugt werden.

Ihr Sinn für Dramaturgie macht einen wichtigen Teil des Erfolgs der momentan bedeutendsten Vertreterin des deutschen Tanztheaters aus. Da fällt es schwer, die Fäden aus der Hand zu geben, obwohl genau dies das Konzept der Künstlerin ist: Ihre Installationen, Objekte und Performances sollen im ZKM-Ausstellungsraum allein funktionieren.

Mehrfach betont sie, dass es eine zentrale Herausforderung gewesen sei, die Aufmerksamkeit des Besuchers nicht zu lenken. Er soll sich frei bewegen können in der ehemaligen Munitionsfabrik.

Die Ausstellung

ist bis zum 2. Februar 2014 zu sehen im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM).

Wer durch die 15 Räume der Ausstellung flaniert, begegnet wie in einer Erinnerungsmaschine den zentralen Produktionen der von der bildenden Kunst inspirierten Choreographin. Die überzeitliche Schönheit ihrer bewegten Bilder ist überwältigend, sei es das von den Friesen des Pergamonaltars abgeleitete Tableau ihrer „Medea“-Produktion oder die an antike Vasenzeichnungen erinnernden Wasserspiele ihrer Inszenierung der Barock-Oper „Dido und Aeneas“. Die Körper der Tänzer mutierten zu lebendigen Skulpturen, vom Lehm beschwert in Zeitlupe agierend oder schwerelos durch das Bassin gleitend.

Michelangelos Höllensturz

Ihre schlafwandlerische Sicherheit in der Gestaltung solcher Bilder resultiert aus dem langen Prozess, an dessen Beginn die „Körper-Trilogie“ stand, die Sasha Waltz zunächst an der Schaubühne entwickelt hat. Die Videoinstallation „Körper“ erzählt von dieser im Jahre 2000 durchaus als provokativ empfundenen Arbeit. Zu sehen sind Männer und Frauen, die um- und übereinander steigen, sich krümmen – ganz Leib – extremer räumlicher Enge ausgesetzt. Im Kontext der Kunst stellt sich bei diesem, wie ein Tafelbild inszenierten Werk die Assoziation des Sixtina-Höllensturzes von Michelangelo ein, ein manieristisches Körpergewimmel, expressiv und theatralisch. Für Waltz war ihre damals live aufgeführte Choreographie ein abstraktes Körperbild, das die Bedingungen des Körpers erforschte.

Wo nun beginnt die bildende Kunst und wo hört der Tanz auf? Für ZKM-Chef Peter Weibel mündet alles in eine „Kunst als Handlung“. In der zeitgenössischen Kunst würde sich bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein Trend zum Körper, zur Performance und zum Tanz abzeichnen. Er verweist auf Jackson Pollocks Dripping-Bilder, die Körpereinsatz gefordert hätten und an feministische Performances der Sechziger- und Siebzigerjahre, auf Tino Sehgal, der 2005 das Biennale-Publikum im deutschen Pavillon mit Aktionen überraschte. Nach der „performativen Wende“ in der Kunst, hätte sich nun mit Sasha Waltz’ Ausstellung im ZKM die „installative Wende“ der darstellenden Künste ereignet.

Sasha Waltz gibt sich da weit nüchterner. „Ich war an der Grenze meiner Bühnenmöglichkeiten angelangt“, sagt sie. Das Ausstellungsprojekt im ZKM sei für sie eine Möglichkeit gewesen, ihre bisherige Arbeit zu reflektieren und zu analysieren. Der Reiz hätte auch darin gelegen, das zeitbasierte Tanztheater in „autarke Objekte“ zu verwandeln. Das ist ihr meist gelungen.

Zuviel Ästhetik trainierter Körper

In ihrem Reigen zeitlos erscheinender Bühneninstallationen wirken allein die Live-Performances, die fast täglich in der Ausstellung aufgeführt werden sollen, künstlich. Das verwundert kaum, denn Performances finden zu Eröffnungen oder speziellen Terminen statt, sind umgeben von der Aura der raren Präsenz des Künstlers. Der auf Wiederholung angelegten ZKM-Aufführung des „Stammbaums“ etwa aus Waltz interdisziplinärer Produktion „insideout“ haftet dagegen zu sehr die Ästhetik trainierter Körper an. Sie sind immer schön, selbst wenn Sandpolster Beine und Füße der Protagonistin beschweren. Bei dieser Arbeit hätte eine Video-Dokumentation der Live-Aufführung 2003 in Graz einen stärkeren Eindruck gemacht.

Der Medientheoretiker Weibel, der in seinem früheren Leben als Künstler Stacheldrahtrollen ins Publikum geworfen hat, also über Erfahrung als Performer verfügt, sieht sich gleichwohl nahtlos in seiner Theorie bestätigt. Er interpretiert Waltz’ Bühneninstallationen als Kunstwerke, entdeckt „eine Kette von Gegensatzpaaren“, sieht im Text des Ausstellungsflyers sogar ihr Werk als Choreographin auf die bildende Kunst – die dauerhafte Installation– zu laufen. Geplant ist ein die Installationen dokumentierender Katalog; vielleicht gibt die Publikation Gelegenheit, das Thema differenzierter zu darzustellen.

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