■ Kunst-Denkmäler: Schwankender Boden
In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Denkmäler für die Opfer des Nazi-Terrors von den simplen Mahnzeichen entgrenzt. Nicht mehr eindimensionale Stadtmöbel mit in Stein geritzten Platitüden oder aufgesockelte, theatralisch inszenierte Monumente schänden nachträglich die Opfer, sondern artistisch gestaltete „Denk-Orte“ bestimmen den öffentlichen Raum. Viele haben für diese andere Interpretation der Geschichte gekämpft, allen voran die „Stiftung Topographie des Terrors“. Die „eigene Geschichte“ sollte den jeweiligen Plätzen und Menschen zurückgegeben werden. Der Wandel von Ausdrucksformen läßt sich vielleicht am deutlichsten an den einfach-kunstvollen Schildern von Renata Stith und Frieder Schnock im Bayerischen Viertel nachvollziehen, wo mit einer alltäglichen Bildsprache die Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bewohner auf eine merkwürdig fremde Weise unter die Haut geht. Nicht anders ist es bei Micha Ullmans „Bibliothek“ auf dem Bebelplatz: ein in die Erde versenkter Ort des Schweigens zur Erinnerung an die Bücherverbrennung. Mit Ausnahme der Neuen Wache, die im Täter-Opfer-Einheitsbrei argumentiert, führt die neue Strategie der Kunst-Denkmäler auf den schwankenden Boden der Selbstbefragung, der Assoziationen, der Verunsicherung und des Nachdenkens, aber auch auf die harten Stufen der Dokumentation und der Aufklärung. In den abstrakten Environments und Skulpturen hat der moralische Zeigefinger ebenso ein Ende wie die stilisierte Form der Angst. Auch für das Holocaust-Mahnmal am Pariser Platz haben Bund, Senat und die Initiatoren Künstler zum Wettbewerb eingeladen. Gerade hier wird es darauf ankommen, besondere Lösungen zu finden: solche, die den monumentalen Zugriff ausschließen, die herausragende Stellung des Denk-Ortes aber betonen. Rolf Lautenschläger
Siehe auch Seite 23
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