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Archiv-Artikel

Kumpel mit Privilegien

Bartholomäus Grill beschreibt seine Erfahrung als Afrikakorrespondent – „Ach, Afrika“

VON DOMINIC JOHNSON

Die Szene, die diesem Buch ihren Titel gibt, stammt aus Zaire zur Zeit des Diktators Mobutu. Bartholomäus Grill reist durch den kongolesischen Urwald in Richtung Zentralafrikanische Republik und verirrt sich unterwegs. In der Stadt Gemena schließlich tut einer seiner Begleiter irgendwelche entfernten Bekannten auf, die den Reisetross nach Tagen der Irrfahrt zu sich nehmen und mit Gastfreundschaft überschütten. Grill ist überwältigt. „Man trinkt noch ein lauwarmes Bier, geht zu Bett und denkt an der Schwelle von Tag und Traum: Ach, Afrika!“

Das Afrikabuch des Zeit-Korrespondenten Bartholomäus Grill ähnelt anderen Afrikabüchern anderer deutscher Korrespondenten in Afrika, die nach Jahren der Berauschung versuchen, dem heimatlichen Leser, der noch nie südlich des Mittelmeers war, ein wenig von der Mischung aus Fasziniertsein und Entsetzen nahe zu bringen, das jeden Deutschen zu befallen scheint, der sich auf diesen dunklen Kontinent wagt. Wie alle diese Bücher ist es von der Anlage her ein Bilderbuch für Erwachsene, ohne Bilder also, dafür sprachlich kunterbunt.

Gleich zu Anfang entschärft Grill zwar die unvermeidliche Kritik an diesem Vorgehen, indem er unter dem Titel „Unser innerer Kongo: Die Projektionsfläche Afrika“ vor all den Gefahren warnt: den Dauerklischees („Afrika schreit, Afrika weint, Afrika stirbt“), den kolonialen Denkmustern („Afrika war immer auch unser innerer Kongo, das Gegenbild unserer Kultur“). Dann aber, in einer grandiosen kreisförmigen Argumentation, beschließt er: Anders geht es nicht. „Du kannst Afrika und die Afrikaner nur mit dem europäischen Blick darstellen. Du hast keinen anderen.“

Da ist der Leser erst auf Seite 42, und jetzt kann das Buch losgehen: Europäischer Blick bis Seite 370, und wegen der ersten 40 durchaus luziden Seiten hat der Autor nicht einmal die Ausrede, es nicht zu merken.

Das Ergebnis spricht für sich. Afrikanische Kunst? Gibt es nicht, „denn die Werke der Afrikaner stehen nicht für sich selber“. Korruption, die zu ökonomischer Stagnation führt? „Das wird so bleiben, solange sich die Mentalität der Afrikaner nicht wandelt.“ Der Skandal der fehlenden Behandlung von Aidskranken? „Vielen Afrikanern leuchtet der Sinn und Zweck der Vorbeugung nicht ein. Unsere Hygieneregeln bleiben ihnen fremd.“ Afrikas Kriege? „Eine wabernde Konfliktmasse.“ Genauer: Der Kongokrieg mit seinen Millionen Toten? „Eine ewige Wiederkehr des immer Gleichen … Die Zeit strömt dahin, träge wie der Kongofluss, und die Menschen wissen nicht, woher er kommt, wohin er fließt.“

Und natürlich darf das älteste aller Afrikaklischees nicht fehlen: „Afrikaner leben die Langsamkeit. Sie sitzen ewig lange unter dem Baum, schlafen, dösen, sinnieren, palavern, lassen den Tag vorbeiplätschern und tun nichts, absolut nichts.“

Viele Weiße denken so, wenn sie wie Grill lange in Südafrika leben. Aus dem rassisch exklusiven Komfort am Kap heraus, dem schönsten Ort im einzigen Industriestaat des Kontinents, kann sich der Rest Afrikas als Kuriosum darstellen, als Erlebnispark direkt vor der Haustür. An die Stelle europäischer Überheblichkeit – das wäre ja rassistisch! – tritt eine südafrikanische Kumpelhaftigkeit, die nicht weniger arrogant ist, gerade weil sie so augenzwinkernd daherkommt.

Bei Formulierungen mit leicht rassistischem Unterton bleibt oft unklar, ob Grill sie ernst meint, aber er gebraucht sie zu oft, um sich dem Vorwurf entziehen zu können. Das ist genau die Haltung vieler südafrikanischer Weißer in der Zeit nach der Apartheid, die ständig unterschwellig die Grenzen politischer Korrektheit testen, um zu beweisen, dass sie sich nicht unterkriegen lassen.

Verräterisch ist die Art, wie Grill mit Nichtwissen umgeht. Manches bringt er einfach selbst durcheinander. Zum Beispiel, wenn er den Namen des Ebolavirus zum Namen der zairischen Stadt erklärt, in dem der Virus internationale Aufmerksamkeit erregte (es war Kikwit) – ausgerechnet an einer Stelle, wo er europäischen Redaktionen die Entsendung ahnungsloser Reporter nach Afrika ankreidet, Oder wenn er bei der Beschreibung der internationalen Passivität während des Kongokrieges ein Massaker an 966 Menschen in die Stadt Bunia unter die Augen von UN-Soldaten verlegt, obwohl es in Wirklichkeit in einem Dorf außerhalb des UN-Einsatzgebiets stattfand.

Schwerer wiegt es dort, wo er erklärt, gewisse Dinge wisse einfach „niemand“. Wie viele Premierminister hatte Zaire unter Mobutu? „So genau weiß das niemand“, sagt Grill. Gibt es keine Zairer, die es ihm hätten sagen können? Die Ugander haben Diktator Idi Amin vergessen, behauptet Grill. Hat er sie gefragt? Flink springt das Buch in einem Absatz von Angola nach Sierra Leone und zurück; Jahre verschieben sich ineinander; Thesen werden mit exotischen Momentaufnahmen illustriert.

Dieser leichtfertige Umgang mit der Wirklichkeit gipfelt in der These, die bei der Rezeption des Buches in Deutschland am meisten Eindruck gemacht hat: dass Afrikaner kein historisches Gedächtnis hätten – zum eigenen Glück. „Nirgendwo werden die Wunden so tief geschlagen, nirgendwo verheilen sie so schnell.“ Gemeint ist das als Kompliment.

Man kann nach der Lektüre dieses Buches Bartholomäus Grill verstehen. Afrika nicht.

Bartholomäus Grill: „Ach, Afrika. Berichte aus dem Inneren eines Kontinents“. Siedler Verlag, Berlin 2004. 384 Seiten, 24 Euro