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Kultusminister wollen tricksenHauptschüler auf Grundschulniveau

Die Kultusminister beharren auf niedrigeren Test-Standards für Hauptschüler, um schlechte Pisa-Ergebnisse zu verschleiern. Ein Forscher warnt: Dann sind wir auf Grundschulniveau.

Die Leistungslatte für Hauptschüler soll tiefer gelegt werden. Bild: dpa

BERLIN taz Am späten Dienstagabend kämpfte Nordrhein-Westfalens Kultusministerin Barbara Sommer (CDU) im Fernsehen um ihre Hauptschüler. Man könne nicht pauschal behaupten, dass Hauptschüler dümmer seien, warnte sie in der Maischberger-Sendung "Wie dumm ist Deutschland?". Schon am Donnerstag zeigt Sommer, wie sie dafür kämpfen will: Sie will die Ansprüche an Hauptschüler radikal absenken lassen. In Berlin tagt eine Sondersitzung von Schulstaatssekretären. Dort sollen die Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss so überarbeitet werden, "dass Anspruch und Wirklichkeit in einem vertretbaren Spannungsverhältnis zueinander stehen". So steht es in einem Vorbereitungspapier für die Sitzung, das der taz vorliegt. Kurzum: Für die Hauptschüler wird die Latte tiefer gelegt.

Für diesen Plan hatten die Kultusminister im Bundestag und bei Bildungsforschern Unverständnis und Wut geerntet. Sie hatten den Plan ausgesetzt und bringen ihn nun erneut vor - mit geänderter Wortwahl. Sommers Staatsekretär Günter Winands sagte: "Es geht nicht darum, die Standards abzusenken, sie sollten passgenauer für den Hauptschulabschluss gemacht werden." Neben Nordrhein-Westfalen sind eine Reihe von Ländern für diesen Plan.

Allerdings warnt der Bildungsforscher Olaf Köller vor einer derartigen Neujustierung. "Wir haben keine Luft nach unten", sagte Köller der taz, "wenn wir die Standards für die Hauptschulen weiter anpassen, dann geraten wir in die Nähe der Standards für Grundschulen." Köller ist der Chef des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das die Standards 2009 für die Kultusminister untersuchen sollte.

Forscher teilen diese Sorge. Man würde den Hauptschulen den Stempel einer Sonderschule aufdrücken, meinte Heike Solga vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin: "Gerade für die Hauptschulen ist es doch wichtig, schnell zu erfahren, ob sie überhaupt noch in der Lage sind, das Leistungsminimum zu vermitteln."

Was die Bundesländer antreibt, die Standards für Hauptschüler an niedrigere Niveaus anzupassen, ist nach den letzten Pisa-Ergebnissen nicht schwer zu erraten. Gerade jene Minister, die am heftigsten dafür plädieren, wollen damit offenbar ihre hohen Zahlen von Risikoschülern vertuschen. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sind 54 Prozent der Hauptschüler lediglich dazu in der Lage, Texte zu entziffern, sie verstehen sie aber kaum. In Hessen sind es gar 62 Prozent, die - wie es der Pisaforscher Manfred Prenzel formuliert - "nur auf Grundschulniveau lesen können". Das bedeutet: Ein Absenken der Hauptschulstandards auf dieses Niveau ließe Pisa-Verlierer wie NRW und Niedersachsen über Nacht besser dastehen.

Allerdings könnten die Kultusminister bei diesem Manöver leicht ihren Chefforscher Olaf Köller verlieren. Nach Informationen der taz gibt es unmittelbar vor der Sitzung der sogenannten Amtschefs ein geheimes Treffen, in dem Köller ultimativ wissen will, wie es mit seinem Qualitäts-Institut weitergeht. Der Leiter des IQB glaubt, dass der Plan der Kultusminister dazu führt, "den standardorientierten Reformprozess in den Ländern zu beenden". So steht es in einem internen Papier, das der taz vorliegt.

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5 Kommentare

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  • S
    Stefan

    leider wird von rolf wieder mal gezeigt, das man eher an einer "end-of-pipe" betrachtung interessiert ist. vielleicht sollte man sich mal fragen, wieso diese schüler solch einen bodensatz bilden und sich selbst so generieren und reproduzieren (ethnisches,kulturelles, soziales und residentielles Umfeld) Die Herabsetzung der Anforderungen gleicht einer Kapitulation unserer Gesellschaft dieser Entwicklung überhaupt noch Herr zu werden. und das zu Zeiten der "Bildungsrepublik". Frühkindliche Förderung anstatt Herabsetzung der Anforderungen.

  • R
    Rolf

    Nein Michael. Es liegt -leider- tatsächlich an den Schülern.

    Da kann man in Abgründe blicken, glaube es mir bitte. Oder besser, überzeuge dich bei Gelegenheit selbst. An den Hauptschulen sammelt sich ein Bodensatz, der mit diesem Begriff nur unzureichend charakterisiert wird.

  • MW
    Michael W.

    Traurig,

    Leuten, die mehr leisten könnten (und sollten) das Recht abzusprechen, überhaupt etwas zu lernen. Das die Lesekompetenz an deutschen Hauptschulen so schlecht ist, liegt ja wohl nicht an den Schülern selbst, sondern an denen, die ihnen hätten etwas beibringen müssen. Überhaupt ist wieder das nach unten durchlässige aber nach ober verschlossene Schulsystem in Deutschland schuld an der Misere, in der wir jetzt stecken.

    Ich selbst habe erst kürzlich die Schule beendet...ohne (subjektiv) einen einzigen Tag gefördert worden zu sein. Beispielsweise wurde die Bitte, die ich mit etwa 15 Mitschülern formuliert hatte, doch einen Chemie-LK einzurichten, abgewiesen mit dem Vermerk, ich solle mir doch mal die Bilanzen anschauen, man könne sich ja kaum noch die Heizkosten leisten...Und das von meinem Schuldirektor.

     

    Ironischerweise wählte ich dann den Pädagogik-LK um dort zu lernen, dass in Deutschland in etwa so viel Geld in die Bildung investiert wird wie in Norwegen - nicht prozentual sondern absolut! Deutschland gibt mit seinen über 80 Millionen Einwohnern soviel Geld für Bildung aus, wie unser kleines Nachbarland mit knapp 4,8 Millionen Einwohnern. Das gibt einem dann schon zu denken. Was hat ein Schüler davon, wenn man ihm nach der 4ten Klasse erklärt, er sei zu dumm zum Lesen, aber man hätte ja glücklicherweise (um Statistiken zu schönen) eine Lösung parat: einfach noch weniger fordern, damit macht man Mut, sich gleich nach der Schule um Hartz 4 zu kümmern.

  • D
    Dunkelseher

    Leider kann ich auch noch eine andere Erklärung für die Bildungssituaion in Deutschland finden als eben pure Absicht. Gibt es überhaupt einen Versuch, zu erklären, welchen (vernünftigen) Grund es gibt, die Standards zu senken?

    Ist Euch wirklich nicht klar, dass es die Aufgabe von Schulen ist, Wissen zu vermitteln, nicht Abschlüsse zu produzieren?

  • ML
    Malte Löck

    Deutschland ist mit dieser herrschenden Regierung wirklich am Allerwertesten. Wenn in diesem Fall extrem überzahlte Minister ausser Manipulation keinen Weg aus der Bildungsmisere wissen, sollten diese unnützen Menschen, deren Job die Bildung ist, ihre Köfferchen packen.

    Dem Steuerzahler werden 500 Mrd Euro für Zockerbanken gestohlen, aber im Bildungswesen ist man zu dumm und zu geizig, Abhilfe zu schaffen.

    Die Wurzel allen Übels liegt im zeitraubenden Habitus, dass die Deutschen das Rad stets neu erfinden müssen.

    Die skandinavischen Länder machen es vor, davon kann man (Minister wohl eher nicht) lernen, und ein entsprechendes System adaptieren bzw. modifizieren. Die Bildungsmisere ist des weiteren gewollt, denn es muss stets einen ungebildeten, obrigkeitshörigen Haufen geben, um das reiche und leider mächtige Elitepack zu bedienen. Ein gebildeter Lohnsklave ist eine Gefahr für die Eliteparasiten.ar hier eingeben