Kulturwissenschaftler auf der Bühne: Wo das Herzblut fließt
Wer in Hildesheim Kulturwissenschaft studiert, muss irgendwann raus aus der Bibliothek: Die Ergebnisse des Praxissemesters präsentiert jetzt das "Verschwendung"-Festival
HILDESHEIM taz | Bei den ersten szenischen Proben auf der Studiobühne 1 haken die chorischen Texte noch und auch die Schrittfolge: „Keine Detailarbeit. Hauptsache, wir kommen einmal durch. Lernt eure Texte! Und habt ihr eigentlich schon einen Raum für die Installation?“
Barbara Hornberger ist Dozentin für populäre Kultur an der Uni in Hildesheim. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Stefan Krankenhagen bietet sie im derzeitigen Sommersemester das Projekt „Provinz Love – verschwende Deine Liebe“ an. In Kleingruppen erarbeiten Studierende eine Serie mit sechs Folgen, unter anderem eine Party, eine Rauminstallation, einen Stadtrundgang und, als großes Finale, die gerade geprobte Performance.
Ob sich in den vielen unterschiedlichen Formaten eine Geschichte erzählen lässt, wissen nicht mal Hornberger und Krankenhagen. Schon vorab waren überall in der Stadt herzförmige Sticker aufgetaucht, auf denen „V+K“ steht.
„Mit den Episoden um V. und K., die übrigens auf einer wahren Hildesheimer Liebesgeschichte beruhen, wollen wir die einfachen Geschichten erzählen, ganz wie es von einer Serie erwartet wird“, sagt Hornberger, „aber die Grenzen zwischen Realität und Inszenierung verschwimmen immer mehr.“
„Verschwende Dich selbst!“ ist die Devise von Isabel Schwenk. Die Masterstudentin erforscht, welche Wirkung PerformerInnen auf ihr Publikum haben. Sie selbst machte einst durch eine Inszenierung von Oscar Wildes „Salome“ auf sich aufmerksam, in der sie selbst nackt zu sehen war. Jetzt gibt sie ihre Erfahrungen weiter.
Janna Fodor ist eher zufällig zu Schwenks „Selbstverschwendung“ gekommen. Mittlerweile schätzt sie vor allem das uneingeschränkte Vertrauen innerhalb der Gruppe. Gern hätte sie die Inszenierungsstrategien stärker in ihren Alltag übertragen. „Für mich ist es einfach spannend, mich und meine Geschichte als Material zu nutzen.“
Schwenk will auf der Bühne nur „echtes und ehrliches“ biografisches Material sehen: „Viele kamen mit der hohen Erwartung, hier an ihrer Persönlichkeit zu arbeiten. Aber wir machen hier ja keine Therapie.“ Was ihre Arbeit leisten könne, sei lediglich, das Entscheidende herauszuschälen und auf die Festivalbühne zu bringen.
Im Hinterhof der Domäne Marienburg regnet es. Musikstudentin Sophie Luther bindet mit einigen KommilitonInnen Kaffeetassen an einen Fahrradreifen. Wo sie normalerweise in Seminaren sitzt und auch das „Verschwendung“-Festival stattfinden wird, liegen Paletten, ein kaputter Staubsauger und einige Kescher.
Nach der Erzählung „Der Fischer und seine Frau“ entwickeln sie ein Musiktheaterstück für Kinder. Es soll auf der Innerste aufgeführt werden, dem Fluss hinter dem Kulturcampus. Mit dem Regen hat man nicht gerechnet: „Eigentlich wollten wir heute im Flussbett proben“, sagt Luther, „aber das Wasser steht viel zu hoch.“
Geesche Wartemann, ihrer Professorin, geht es in der Auseinandersetzung mit dem Begriff Verschwendung eher um einen hingebungsvollen Umgang: mit Ideen, Zeit und Geld. Das schlägt sich nicht unbedingt in der Ausstattung nieder: Jedes Projekt hat pauschal 400 Euro für Materialkosten zur Verfügung. Auch deshalb ist bei „Der Fischer und seine Frau“ bis hin zum Bühnenbild alles selbst entwickelt und gebaut worden.
Präsident Wolfgang-Uwe Friedrich schmückt sich gern mit dem Fachbereich 2 „seiner“ Stiftungsuniversität. Kunst, Musik und Medien sind bei relativ wenig AbsolventInnen zwar überdurchschnittlich teuer, können als Aushängeschild aber selbstverständlich nicht vernachlässigt werden. Nur so sind praktische Lehre und solche außerordentlichen Veranstaltungen möglich.
Im Laufe ihres Studiums steht für werdende Kulturwissenschaftler in Hildesheim ein besonderes Semester an: das Projektsemester. Viele Lehrende wie auch Lernende verbringen vor allem in der letzten Probenphase auch Wochenenden und Nächte auf dem Campus: um zu proben, zu werkeln oder ihrer Webserie den Feinschnitt zu verpassen.
Die meisten Episoden der „Provinz Love“-Serie finden an städtischen Orten statt und sollen dabei auch eine Liebeserklärung an die HildesheimerInnen sein, sagt Stefan Krankenhagen. Zahlreiche Geschichten haben die Studierenden dazu gesammelt, über eine Anzeige in der lokalen Zeitung, über die Lebenshilfe und eine Partnerbörse im Internet.
„Uns ist wichtig, dabei auch die Diversität unserer Stadt zu zeigen“, sagt die Medienstudentin Insa Peters: „Es interessiert uns nicht, nur junge, weiße Männer zu Wort kommen zu lassen.“ Projektsemester bedeute für sie, „mit Herzblut zu studieren“:
Man müsse mehr Zeit und Energie aufwenden, lerne aber auch unglaublich viel – um am Ende das eigene Festival, das eigene Radio-Feature oder die eigene Inszenierung fertigzustellen und zu präsentieren. Dass eine philosophische oder politische Auseinandersetzung mit dem – aus der Ökonomie stammenden – Begriff der Verschwendung zu kurz kommt, ist schade. Aber verständlich.
■ „Verschwendung“-Festival: 11. bis 20. Juli, Hildesheim, Domäne Marienburg. Weitere Informationen und Programm: ■ Der Autor studiert an der Universität Hildesheim
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