■ Kulturterminator Diepgen: Chefsache vergeigt
Was hat eigentlich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen seinem Freund Helmut Kohl bei ihren zahlreichen Treffen über die Berliner Kunst- und Kulturlandschaft erzählt? Etwa, daß die städtischen Bühnen und Theater nur von gefährlichen Psychopathen geleitet werden, in den Museen die totale Phantasielosigkeit herrscht und in den kunstlüsternen Ateliers am Prenzlauer Berg der Sozialistische Realismus erneut Einzug hält? Oh, hätte er doch! Selbst beim Wehklagen wäre ein warmer Geldregen zur Rettung der abendländischen Kultur geflossen.
Es hat den Anschein, daß Diepgen sich beim Thema Hauptstadtkultur und deren Finanzierung bei Kohl in Leisetreterei geübt hat. Denn statt die zur sogenannten Chefsache erklärte „Kulturförderung 1995“ lauthals in Bonn einzuklagen, muß ihm das Anliegen (wie übrigens andere auch) angesichts des kunstsinnigen Kanzlers wohl in die Hose gerutscht sein. Nicht anders ist zu erklären, daß Diepgen die Reduzierung der Bundesmittel für Berlins Kultur von erhofften 148 Millionen Mark auf läppische 28 Millionen noch als vollen Erfolg wertet und frech den bodenlosen Absturz „als Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet.
Womit die kulturellen Institutionen finanziert oder die Künstler bezahlt werden sollen, ließ Kulturterminator Diepgen offen. Dreister hat noch niemand versucht, seine Niederlage in einen Erfolg umzumünzen. Schlimmer noch, fordert Diepgen jetzt, die Berliner Kultur solle allein bluten und das Geld nicht im Gesamthaushalt eingespart werden, wie der Beschluß der Senats-Sparklausur vom Sommer 1994 vorsieht. Als ob die Rendite im Kunstbetrieb am höchsten sei sowie der Ruf nach Effektivität dort besonders gern gehört würde.
Doch nicht nur der Mann im Roten Rathaus läuft Amok. Auch die eingefleischten Bonner Lokalpatrioten gebärden sich bei der Verteilung der wenigen Kulturbrosamen wie wildgewordene Raubtiere. Denn der Weltmetropole am Rhein werden in diesem Jahr satte 130 Millionen Mark an Subventionen in den Schoß gelegt, um zusätzliche Museen und bequeme Parkettplätze für die Abgeordneten zu bauen. Die drei oder vier Jahre, so denkt man dort, lassen wir fünfe grade sein und hauen noch mal auf den Kulturputz: in weichen Hausschuhen vom Plenarsaal auf die neue „Ausstellungsmeile“. Von dort aus gesehen ist Berlin weit weg, liegt tief im Osten und sowieso in weiter Ferne. Rolf Lautenschläger
Siehe untenstehenden Bericht
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