Kulturkonflikt: Das Flüstern des Muezzins
Die Moschee in Rendsburg erhält die Genehmigung zu täglichen Rufen, jedoch mit beschränkter Lautstärke. Dennoch versammelte sich eine kleine Gruppe von Protestlern im Rathaus.
Von den Minaretten der Moschee im schleswig-holsteinischen Rendsburg darf ab sofort fünfmal täglich der Muezzin rufen - im Flüsterton. Dies gab am Dienstag der Rendsburger Bürgermeister Andreas Breitner (SPD) bekannt. "Keine politische Entscheidung", wie er betonte, sondern eine nach Gesetzeslage und Gutachten. Die Moschee, eine der größeren in Norddeutschland, wurde im vergangenen Oktober eröffnet. Kurz darauf beantragte das örtliche Islamische Zentrum (IZ) den Muezzin-Ruf, seither mehren sich die Proteste. Anwohner sammelten Unterschriften, aber im Rathaus landeten Briefe und Mails aus der ganzen Republik. "Von Oberammergau bis Flensburg", sagt Breitner. "Die meisten Proteste waren sachfremd."
Zu prüfen hatte die Stadtverwaltung einzig, welche Lautstärke angemessen ist. Dazu gab es ein Lärmschutzgutachten. "Das Ergebnis der Untersuchung ist, dass der Gebetsruf nur knapp über 40 Dezibel zu hören ist", so Breitner - so laut wie Vogelstimmen oder ein normal eingestelltes Radio. Nach 22 und vor sechs Uhr darf der Muezzin nicht rufen. "Wir haben Messgeräte in den nächsten Wohnhäusern angebracht, da ist gar nichts zu hören."
Die Auflagen sind strenger als sonst in Wohngebieten, dabei steht die Moschee in einem Mischgebiet. "Aber wir wollten zeigen, dass wir die Sorgen und Ängste der Nachbarn ernst nehmen", erklärte Breiter. Er hoffe, dass die Aufregung um den Muezzin-Ruf nun bald ein Ende hat: "Wir sind eine normale deutsche Provinzstadt, in der es eine Moschee gibt, wie in vielen anderen auch." In der Nachbarstadt Neumünster rufe seit Jahren ein Muezzin, dreimal täglich und mit etwa 80 Dezibel. "Ich denke, es gibt keinen Grund, gegen etwas zu protestieren, was man gar nicht hört."
Zehn Jahre dauerte der Bau der Rendsburger Moschee. Sie wurde durch Spenden finanziert und entstand größtenteils in Eigenarbeit.
Mit ihren 26 Meter hohen Minaretten und der acht Meter durchmessenden Kuppel bietet sie Platz für rund 200 männliche und 100 weibliche Gläubige.
Während der Bauzeit gab es keine Proteste - Rendsburg galt daher als Vorbild für Toleranz.
Die Moschee steht auf Rendsburger Stadtgebiet an der Grenze zum Nachbarort Büdelsdorf, in einem Mischgebiet mit Wohn- und Gewerbebebauung.
Dennoch stand gestern im Foyer des Rathauses ein Trüppchen Protestler mit Plakaten. Nicht um die Lautstärke ging es ihnen, sondern um das grundsätzliche Recht der muslimischen Gemeinde, zum Gebet zu rufen: "Die fressen uns auf", warnte einer der Demonstranten. Und: "Was kommt noch alles?"
Abgesehen von der eher kleinen Truppe blieb es ruhig - "aber man weiß ja nie", so einer der Polizisten, die vor dem Rathaus Stellung bezogen hatten. In der Moschee und im Islamischen Zentrum hielten sich Freude und Enttäuschung die Waage. "Wir freuen uns über die Erlaubnis und verständlicherweise weniger über die Einschränkung", sagte Ahmet Yazici vom Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland der taz. Gerade mal bis zur Grundstücksgrenze sei der Ruf zu hören - und auf dem eigenen Grundstück Geräusche zu verursachen sei "eigentlich kein besonderes Recht". Befremdlich sei, so Yazici, "dass es weiterhin Proteste gibt". Offenbar "wollen einige Menschen sich gestört fühlen und meinen, das Abendland retten zu müssen".
Bürgermeister Breitner hatte dem Islamischen Zentrum vorgeschlagen, das Recht auf den täglichen fünffachen Ruf nicht auszuschöpfen, sondern die Stimme des Muezzins nur am Freitag nach außen zu übertragen. Dies entspricht einer Idee der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen: Sie hatte vor kurzem gesagt, sie könne sich einen zentralen Gebetsruf für Hamburg vorstellen, und hatte dafür ebenfalls den Mittagstermin am Freitag vorgeschlagen.
Angesichts der geringen Lautstärke sei es "fast schon egal", meinte Yazici, ob der Ruf einmal pro Woche oder fünfzigmal am Tag erschalle - der Kompromiss, am Freitag zu rufen, sei in Ordnung. Wichtig sei, das gute Einvernehmen in der Nachbarschaft wieder herzustellen: "Die Proteste vergiften die Luft."
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