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KulturkommentarFahrlässige Hinrichtung

■ Die Bremer Kultursenatorin treibt das Theater in den Tod – ein Zwischenruf von Susanne Raubold

Eitel Sonnenschein war nicht zu erwarten, als die neue Kultursenatorin das Ruder übernahm. Sparen, Sparen und nochmals Sparen: Das war die einzige Parole, mit der die große Koalition die neue Senatorin Bringfriede Kahrs (SPD) in den Ring schickte. Zuerst schlecht gecoacht und offensichtlich ohne kompetente Beratung, fand sie auch blind jedes Fettnäpfchen, das beim Antrittsgang im Weg stand. Nun ist die peinliche Anwärmphase vorüber – Ergebnis: Die Kontrahenten im Bremer Kulturleben stehen sich unversöhnlicher denn je gegenüber. Besonders festgefahren: die Konfrontation zwischen der Kultursenatorin und dem Intendanten des Bremer Theaters, Klaus Pierwoß. Denn inzwischen scheint es, als solle der erfolgreiche, nach langem Suchen gefundene Intendant schon wieder aus der Stadt getrieben werden.

Mit ihren Sparvorschlägen in Millionenhöhe stieß die Senatorin den Intendanten mächtig vor den Kopf. Dazu aber kommen die besonderen Umgangsformen der Kulturpolitikerin: Erst ließ sie den Intendanten Monate auf ein erstes Gespräch warten, dann legte sie ihm irrsinnige Kürzungszahlen auf den Tisch – ohne inhaltliche Begründung. Verständlich, daß Pierwoß jetzt eine Grenze gezogen hat. Diese sei seine „vorletzte“ Erklärung, teilte der sichtlich genervte Intendant bei seiner jüngsten Pressekonferenz mit, als er nach persönlichen Konsequenzen aus der Situation gefragt wurde.

Fakt ist: Die Kulturbehörde legt es auf einen Vertragsbruch an. Pierwoß läßt nicht ab, immer wieder darauf zu verweisen. Nicht vorrangig, um sein eigenes Intendantengehalt zu sichern: Pierwoß stellt sich hier vor seine 440 Mitarbeiter. Denn die könnten nicht mehr bezahlt werden, wenn die von der Stadt zugesagte Anpassung der Theatersubventionen an die üblichen Tarifsteigerungen künftig eingespart würde. Wenn dieser Vorschlag aus dem Hause Kahrs von den Kulturdeputierten im Februar angenommen wird, steht einiges auf dem Spiel. Im Theater fürchtet man den gerade erst gewonnenen Intendanten wieder zu verlieren. Das wäre fatal, ist doch die Situation am Goetheplatz nach der desaströsen Ära Heyme keinesfalls gesichert. Der große Theaterdampfer kam erst langsam wieder in Fahrt, macht erst jetzt volle Kraft voraus.

Ist Pierwoß also wirklich ein kleinlicher Erbsenzähler, wenn er auf Einhaltung seines mit der vormaligen Senatorin Trüpel geschlossenen Vertrages beharrt? Seine Erfolge beantworten die Frage. Im Sommer 1995 startete er mit einem Premierenmarathon. 36 Inszenierungen in der ersten Spielzeit waren seine Anschub-Investition, die einem großen Ziel verpflichtet ist: Die vier Bühnen des Theaters sollten an möglichst vielen Abenden wieder bespielt werden. Das Ergebnis: ein interessantes Niveau der Inszenierungen besonders vieler junger Künstler.

Mehr noch: Der Neu-Bremer Intendant hat sich auch auf die heimische Theater-Szene eingelassen. Langgeforderte Kooperationen mit der freien Szene wurden eingelöst. Seit Pierwoß in der Stadt ist, wird die renommierte Concordia-Bühne auch von den freien Gruppen der Stadt bespielt. Darüber hinaus zeugt auch die Teilnahme des traditionsreichen Bremer Tanztheaters am „Tanzherbst“, einer Veranstaltung der freien Szene, vom neuen Kooperationswillen des Stadttheaters.

Was Pierwoß also zu Recht einklagt, ist mitnichten kleinlich zu nennen. Es geht ihm nicht um sein persönliches Einkommen, sondern schlicht um die Zusicherung der Planungssicherheit, die erst eine fünfjährige Intendanz überblicken läßt. Und mit der sich verhinden läßt, das Sparbegehrlichkeiten zuungunsten der Sparten gehen, die in der Kulturlandschaft die schwächste Lobby haben. Das MOKS-Theater für Kinder und Jugendliche und natürlich das als elitär verschrieene Tanztheater stehen als stark gefährdet auf der Liste bedrohter Sparten. Pierwoß jedoch ist mit dem Versprechen angetreten, das Drei-Sparten-Haus zu erhalten. Für diese Planungsautonomie hatte er sich auf eine jährliche Einsparquote von zwei Millionen Mark eingelassen, zu der nun eine Kürzung von drei Prozent hinzukommen soll. Für das Jahr 1996 errechnet sich daraus die Summe von 1,15 Millionen. Im Theater kann man es kaum als Zufall empfinden, daß das Tanztheater genau mit dieser Summe zu Buche schlägt.

Unter diesen Vorzeichen erregen die neuerlichen Aufforderungen, den Gürtel nochmals enger zu schnallen, verständliche Abwehr. Aggression kommt auf, wenn es aus der Kulturbehörde heißt, die Bremer sollen doch nach Hamburg fahren, wenn sie etwas Anspruchsvolles im Theater sehen wollten. Ebenfalls von diplomatischem Ungeschick höchster Ordnung zeugt, wenn Kahrs bei Sparvorschlägen, die die Interna des Theaters betreffen, Mitglieder der Shakespeare Company als Kronzeugen zitiert. Wie produktiv ist eine lokale Kulturpolitik, die die Akteure gegeneinander hetzt?

Gelungen ist der Senatorin das durch die Art und Weise, wie sie unter den Theaterleuten sparen will. Wenn die freien Gruppen, allen voran die Shakespeare Company und das Junge Theater, plötzlich finanzielle Zusagen bekommen und dem großen Theater eine gemachte Zusage genommen wird, dann bedeutet das eine klare Umverteilung in der Gunst. Die Folge: Aus Kollegen werden Konkurrenten. Wie verhärtet die Fronten sind, das war bei der letzten Diskussion des Kulturrats zu beobachten. Im Ring des Theatercafés „Falstaff“ standen sich plötzlich die Frontmänner des Bremer Theaters und der Shakespeare Company wie Kampfhähne gegenüber. Schimpfworte und Beschuldigungen flogen hin und her.

In dieses künstlich geschaffene Reizklima paßt es dann auch noch, wenn Pierwoß hinter vorgehaltener Hand bereits als scheidender Intendant gehandelt wird. Auch dumpfe Gerüchte über eine vermeintliche Bewerbung Norbert Kentrups auf den Intendantenposten verfehlen da die erwünschte Wirkung nicht. Mögen sie auch jeder Grundlage entbehren: Der Streit ist da, und in der Kulturbehörde darf man sich nun die Hände reiben, sich zurücklehnen und den Streit genüßlich verfolgen.

Bringfriede Kahrs aber gibt sich überrascht, wie sie es oft getan hat in den letzten Wochen als Kultursenatorin. Das habe sie nicht erwartet, daß ihre Umverteilung solch hohe Wellen schlagen würde. Auch, daß die gesamte Republik aufschrie, um den Tod des Bremer Theaters zu verhindern, habe sie verblüfft. „Ich wußte nicht, daß diese Theaterleute so einen Theaterdonner aus einer kleinen Sparmaßnahme machen“, wundert sie sich noch heute.

Was diese Senatorin jetzt braucht, was das Theater und das Bremer Kulturleben jetzt brauchen, ist ein Korrektiv für diese dilettantische, fahrlässige Form von Kulturpolitik. Kahrs' Kolleginnen und Kollegen im Senat, der Bürgermeister und die Kulturdeputierten sind aufgefordert, dieser Politik einen dicken Riegel vorzuschieben. Sonst könnte in einer Theaterlandschaft, die gerade eben zu neuer Blüte findet, ein irreparabler Flurschaden entstehen. Sonst wird durch die ungeschickte – oder doch letztlich gezielte ? – Politik der neuen Ressortspitze ein Intendant aus der Stadt getrieben, für den es so schnell keinen Ersatz gibt.

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