Kulturkampf der Journalisten: Die nächste Generation
Kleiner, jünger, flexibler, onlineaffiner: Der Verein für freie Journalisten "Freischreiber" setzt sich klar von den großen Gewerkschaften ab - und lässt die Etablierten mitunter alt aussehen.
Der Club Uebel & Gefährlich in St. Pauli, untergebracht im einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, ist eine bundesweite Institution, hier gastieren maßgebliche DJs und Independentbands. Journalisten sitzen dort normalerweise nicht auf der Bühne. Dennoch hat der mit gerade mal 300 Mitgliedern recht kleine Journalistenverband Freischreiber hier kürzlich einen Leseabend veranstaltet, wie auch in Berlin, Köln und München. Solche Lesungen dokumentieren auch die Wertigkeit von journalistischen Texten, sagt der freie Autor Lars Reppesgaard ("Das Google-Imperium"), Vorstandsmitglied der Freischreiber.
Dass sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), mit 39.000 Mitgliedern die größte Journalistenorganisation Europas, im Uebel & Gefährlich präsentiert, wäre hingegen schwer vorstellbar. Es würde kaum passen zu einem Verband, der sich manchmal allzu staatstragend gibt. Nach dem letzten Bundeskongress teilte der DJV mit: "Mit großer Mehrheit haben die Delegierten des DJV-Verbandstags 2009 am heutigen Dienstag die ,Berliner Erklärung zur Krise in den Medien' angenommen.
Darin drückt der Deutsche Journalisten-Verband seine Sorge aus, dass sich ,die Rahmenbedingungen für einen verantwortungsvollen Qualitätsjournalismus weiter verschlechtern'." Abgesehen davon, dass dies eine euphemistische Umschreibung der Lage ist, wirkt eines besonders seltsam: Ein Verband, der Journalisten vertritt, pflegt einen Verlautbarungsjargon, den diese bei Politikern kritisieren.
Dieser Text ist der aktuellen vom 16./17.1.2010 entnommen - ab Sonnabend gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.
Die geringe Größe der Freischreiber bringt eine Flexibilität mit sich, die dem DJV zwangsläufig fehlt. Innerhalb von zwei Stunden sei man in der Lage, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, sagt Reppesgaard. "Wer bei uns mitmacht, kann schnell etwas anzetteln." Niemand muss einen mühseligen Marsch durch die Gremien auf sich nehmen. Gelegentlich berichten Medienseiten deutscher Zeitungen über Freischreiber-Aktivitäten - ein Erfolg für den erst Ende 2008 formierten Verein. Die Gründer hatten das Gefühl, dass der DJV und auch die andere große Gewerkschaft, die in der breiteren Öffentlichkeit eher unauffällig agierende Deutsche Journalisten-Union (dju), die Interessen Festangestellter besser vertraten als die freier Journalisten. Dabei wird die eine Gruppe kleiner und die andere immer größer.
Derzeit tobt ein kleiner Kulturkampf zwischen den ungleichen Verbänden, die offiziell stets betonen, einander nicht als Konkurrenten zu betrachten. "Wir empfinden die Umwälzung, die das Internet mit sich gebracht hat, nicht als Problem", sagt Lars Reppesgaard. "Wir finden es gut, dass man heute keine Druckerpresse mehr braucht, wenn man etwas publizieren will." Es sei doch selbstverständlich, dass die Arbeit eines Journalistenverbandes auch angetrieben sein müsse "von einem Interesse daran, wie sich Kommunikation verändert".
So weit scheint man beim DJV noch nicht zu sein. "Bei Kollegen aus dem Printbereich wird der Medienstrukturwandel als negativ wahrgenommen. Mitglieder, die sich in einer Mischung aus Angst und Unwissenheit gegen den Wandel sträuben und sich nur zähneknirschend mit dem Internet beschäftigen, haben eine starke Lobby", sagt Thomas Mrazek, Leiter des Fachausschusses Online. Unter solchen Voraussetzungen ist es für eine Gewerkschaft schwer, den Medienwandel mitzugestalten.
Die Gemengelage ist komplex: Gewerkschaften haben eigentlich den Zweck, Arbeitszeitverkürzungen durchzusetzen. Andererseits verschwimmen bei Journalisten von jeher die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Eine Entwicklung, die seit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke, auf die jeder auf Eigenwerbung bedachte freie Journalist angewiesen ist, noch forciert wurde. Er muss mehr arbeiten, obwohl er damit zumindest unmittelbar nichts verdient.
2009 gab es einen kleinen Aufruhr im DJV, als einige internetaffine Mitglieder einen kritischen Beitrag des DJV-Vorsitzende Michael Konken zum Thema Google als derart weltfremd empfanden, dass sie mit großer Geste ihren Austritt erklärten. "Die Polarisierung" zwischen den Fürsprechern der sogenannten Holzmedien und deren Widersachern aus dem Netz sowie "die unbegründete Arroganz auf beiden Seiten blockieren uns", sagt Ulrike Kaiser, die stellvertretende DJV-Vorsitzende. Sie rät auch aus historischen Gründen zu mehr Gelassenheit: "Solche Animositäten hat es immer gegeben. Als das Fernsehen aufkam, prophezeiten einige Hörfunker den Untergang des Abendlandes, andere etablierte Radioleute fanden Gefallen an dem neuen Medium."
Allerdings hat sich der digitale Strukturwandel stärker als bisherige medienhistorische Brüche auf das Berufsbild ausgewirkt. Ob ein Journalist nun vernetzt ist mit ganz gewöhnlichen Mediennutzern und von ihnen profitieren kann, aber auch mit ihnen konkurrieren muss, oder ob ein Journalist angesichts von sinkenden Honoraren und Zeitschriftensterben zu Nebentätigkeiten in der PR gezwungen ist - das sind nur zwei Einzelphänomene einer längst noch nicht abgeschlossenen Entwicklung.
Angesichts dieses Wandels betrachten es die Freischreiber als Teil ihrer Arbeit, "über die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen nachzudenken". Reizvoll findet der junge Verband etwa die Idee, dass sich Journalisten von den Verlagen emanzipieren. Theoretisch ist das möglich, die technischen Voraussetzungen sind längst vorhanden. Ob sich auf diese Weise in nennenswertem Umfang Geld verdienen lässt, ist indes ungewiss.
Einer der Ausgangspunkte für solche Gedankenspiele ist die Frage, warum man sich eigentlich alles gefallen lassen soll von Verlagsmanagern, die vor Gesellschafterfamilien und Aktionären auf die Knie gehen und denen Qualitätsjournalismus eigentlich wurscht ist - sooft sie den Begriff auch verwenden, wenn sie in Sonntagsreden die Bedeutung von Zeitungen für die Demokratie preisen und gegen Google oder die iPhone-App der "Tagesschau" wüten.
Der Journalist als verlegerähnlicher Kleinunternehmer in eigener Sache - in deutschen Medienblogs klingen entsprechende Plädoyers leider noch oft wie FDP-Propaganda. Das hierzulande noch relativ neue Thema "entrepreneurial journalism" soll Ende 2010 Schwerpunkt eines Freischreiberkongresses sein. Journalisten, die diesen Weg gingen, hätten mit der Klientel einer klassischen Gewerkschaft dann gar nichts mehr gemein, denn Unternehmer haben dort eigentlich nichts verloren.
Die Freischreiber widerlegen en passant den weit verbreiteten Eindruck, dass ehrenamtliches Engagement bei Jüngeren out sei. Eine Mittvierzigerin sagt: "Ich bin da schon fast die Oma." Der DJV leidet dagegen unter Überalterung. Wer kurz vor oder hinter dem Ende des Berufslebens steht, ist zwangsläufig weniger nah dran an neuen Entwicklungen. Letztlich sei der DJV von "einem gesamtgesellschaftlichen Problem" betroffen, sagt die Fotografin Heike Rost, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Rheinland-Pfalz. Nahezu allen Berufs- und Wirtschaftsverbänden fehle es an Nachwuchs, in den Gremien sei kaum jemand unter 35.
Freischreiber als Blaupause?
Die Auseinandersetzungen zwischen DJV und Freischeibern könnten sich auf ähnliche Weise wiederholen. Zum einen weil nach der Musikindustrie und dem Journalismus auch andere Branchen die Folgen des digitalen Strukturwandels noch ähnlich stark zu spüren bekommen werden. Zum anderen weil es immer weniger feste Jobs und immer neue Spezialberufe geben wird. Damit wächst auch ein Potenzial für kleine, flexible Interessenvertretungen, die die entstehenden Bedürfnisse möglicherweise besser abdecken als die großen Berufsverbände mit ihrer relativ heterogenen Klientel. Reppesgaard hofft insgeheim, dass die Freischreiber eine "Blaupause" sein können für andere relativ neue Berufsgruppen, die bisher schlecht organisiert sind, etwa IT-Freiberufler.
Abgesehen davon, dass sich ihr Überbau unterscheidet, gibt es mittlerweile auch in der Praxis handfeste Auseinandersetzungen zwischen dem alten und dem jungen Verband. So protestieren die Freischreiber gegen die Honorarregelungen, die der DJV und die dju gerade für freie Tageszeitungsjournalisten ausgehandelt haben. Die Traditionsverbände halten sie für angemessen, die Freischreiber kritisieren, durch die Vereinbarung würden unhaltbare Zustände quasi festgeschrieben. "Es ist nicht fair, wenn ein freier Journalist pro Tag so viel verdient wie ein Handwerker oder ein Redakteur in ein, zwei Stunden", argumentiert Mitglied Wolfgang Michal im Blog der Freischreiber.
Die Organisation hat nun eine Internetpetition initiiert, deren Unterzeichner die Vorstände der großen Gewerkschaften auffordern, die Tarifvereinbarungen nicht abzusegnen. Die dju hat dies dennoch getan. Am Montag fällt nun der DJV-Bundesvorstand eine Entscheidung. Sie wird auch Aufschluss darüber geben, wie stark der Einfluss der Freischreiber mittlerweile ist.
Der Autor ist DJV-Mitglied
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