piwik no script img

Kultur in KreuzbergAuflagen statt Geschenke

Das Kreuzberger SO36 feiert sein 30. Jubiläum und kämpft mit Lärmschutzauflagen. Für eine nötige Schallschutzwand haben Betreiber und Bezirk kein Geld.

Seit 30 Jahren ist im SO36 was los: Hier Polizisten im Gespräch mit Punks am 1. Mai 2005 Bild: AP

Da haben sich andere schon mal bessere Geburtstagsgeschenke ausgedacht: Das Urgestein unter den Kreuzberger Konzertclubs, das SO36 in der Oranienstraße, wird ausgerechnet zu seinem 30. Jubiläum mit Lärmschutzauflagen belegt. Bei den Betreibern hält sich die Freude über das Präsent in Grenzen: Konzerte in Zimmerlautstärke und das SO36? "Unmöglich", schüttelt Mitbetreiberin Lilo Unger den Kopf. Genauer gesagt: "existenzbedrohend".

Das SO36 steht für Punk- und Hardcore-Konzerte genauso wie für Tuntenshows, Multikulti-Partys und Kiez-Happenings - laut, trashig, links. Nicht immer allerdings zur Freude der direkten Nachbarn. Aufgrund von Beschwerden eines Anwohners habe das Umweltamt Lärmmessungen durchgeführt - und fünf Dezibel Immissionsüberschreitung festgestellt, berichtet Peter Beckers, Wirtschaftsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. "Wir hatten keine Wahl, wir mussten reagieren." Seit Ende Februar darf ab 22 Uhr kein Lärm lauter als 45 Dezibel mehr vor das Fenster des Nachbarn dringen. Die Auflagen seien eine Premiere, so der Club, denn bisher hätte man Beschwerden stets direkt mit den Nachbarn regeln können.

"Wir haben die Konzertlautstärke erst mal runtergedreht", so SO36-Mitarbeiterin Anette Fleig. "Aber wir brauchen einen Kompromiss, bei dem auch unsere Besucher noch Spaß haben." Das SO36 sieht nur eine Lösung: eine Schallschutzmauer neben dem Gebäude, rund 80.000 Euro teuer. "Für uns leider unbezahlbar", klagt Lilo Unger, seit elf Jahren beim Club. Stattdessen sollten Senat und Bezirk für die Mauer zusammenlegen. "Wenn die Stadt Geld zur O2-Arena zuschießt, haben auch wir eine Förderung verdient", findet Unger.

Schließlich könne das SO36 als Kreuzberger Instanz gelten: Rund 50 Leute seien hier beschäftigt, fünf Azubis würden ausgebildet, Kiez-Initiativen könnten hier ihre Veranstaltungen durchführen. "Hier trifft sich die türkische Mutter mit dem Heavy-Metaler", freut sich Anette Fleig. Auch Stadtrat Beckers lobt, dass man die Bedeutung des Clubs nicht hoch genug einschätzen könne. "Eine Schließung wäre ein herber Verlust." Aber finanzielle Unterstützung? "Da sehe ich momentan nicht, wo das Geld herkommen soll."

Die Feiern zum 30. Jubiläum will sich der Laden dennoch nicht vermiesen lassen. Hat doch das SO36 schon ganz anderes durchgestanden: Räumungen und Saalschlachten, Schließung durchs Bauamt, Besetzung und zwischenzeitliche Nutzung als türkischer Hochzeitssaal. Schon kurz nach der Eröffnung des SO36 überfiel 1979 ein Anarcho-Kommando ein Konzert und klaute die Eintrittskasse mitsamt 4.500 Mark Einnahmen - als Kritik an der "Konsumscheiße" des Kreuzberg-Neulings.

Heute geht es im Laden gesitteter zu, auch wenn das SO36 seit 18 Jahren immer noch kollektiv geführt wird - von einem Zehner-Delegiertenrat und dem 60-köpfigen Kollektiv. Zu den jährlichen Vollversammlungen kommen auch Mitglieder des 200 Personen starken Trägervereins. Innovativ bleibt das SO36 in jedem Fall: Hier wurde Deutschlands erste türkisch-schwullesbische Partyreihe ins Leben gerufen, hier wird seit elf Jahren monatlich Kiezbingo gespielt, deren Erlöse sozialen Initiativen zugute kommen.

Streng genommen hätte das SO36 schon 2008 seinen Dreißigsten feiern müssen - denn den Auftakt bildete das satirische "Mauerbau-Festival" 1978. "Das haben wir in guter, alter SO36-Tradition verpennt", räumt Fleig ein. Dafür werde man die Feierlichkeiten nun über das ganze Jahr ausdehnen: als Nächstes mit einer Geburtstagsgala am 4. April. Stadtrat Beckers gratuliert schon jetzt: "Das SO36 ist aus Kreuzberg nicht wegzudenken. Ich hoffe, dass es hier auch noch seinen 60. feiern kann."

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!