Kultur im Krematorium: Der morbide Charme der Weddinger Bohème
Der Einzug der Galerie Patrick Ebensperger in ein ehemaliges Krematorium ist Ausgangspunkt für einen neuen Kreativ-Campus in Wedding.
Eines der eindrücklichsten Werke stammt von Kei Takemura, einer japanischen Künstlerin, die 1974 in Tokio geboren wurde, ab dem Jahr 2000 in Berlin studierte und seither hier lebt. Es ist eine großformatige Wandarbeit mit dem Titel „Remembering Grandmother‘s Living Room“ und zeigt einen menschenleeren Innenraum.
Die Künstlerin hat mit heller Gaze und weißem Seidenfaden gearbeitet, einem traditionellen japanischen Material, dem eine Haltbarkeit von mehr als 1.000 Jahren nachgesagt wird. Es ist ein weiteres der Werke von Kei Takemura, das um schwere Themen wie Erinnern und Bewahren kreist.
So groß das Werk ist, so filigran, licht und leicht wirkt es andererseits – und passt damit optisch wie thematisch in die Galerie Patrick Ebensperger, deren neue Räume mit einer aktuellen Ausstellung von Werken von insgesamt vierzehn Künstlern ab heute zu besichtigen sind.
Denn die stolzen 1.000 Quadratmeter der Galerie befinden sich im ehemaligen Krematorium Wedding, in einer ehemaligen Aussegnungshalle, die in den 1930ern erbaut wurde und die der Galerist nur notdürftig hat renovieren lassen – so, dass die ursprüngliche Bestimmung dieses Hauses, sein sakraler Charme, nicht übertüncht wird.
Titel "Green Silten"
Die Galerie ist somit der erste Ort für Kultur auf diesem einmalig schönen Gelände. Im Sommer 2014 wird es komplett eröffnen – als neuer Kreativ-Campus unter dem Titel „Silent Green“. Nach dem Ex-Rotaprint-Gelände, dem Stattbad und den Uferhallen ist dies also das vierte Leuchtturmprojekt in dieser bislang eher wenig erschlossenen Gegend.
Man kann den Stolz des Berliner Filmemachers und Immobilienkaufmanns Frank Duske nachvollziehen, wenn er in seinem eleganten Anzug und seinen spitzen Schuhen über das Gelände geht, das er gemeinsam mit seinem Partner Jörg Heitmann 2012 vom Liegenschaftsfonds erwarb – einem Gelände, auf dem es vor Bauarbeitern momentan noch wimmelt, die vor allem noch mit dem Rückbau befasst sind.
Kernstück des ehemaligen Krematoriums, das bei seiner Eröffnung 1912 nach den Plänen des Berliner Architekten William Müller eröffnet wurde, ist eine siebzehn Meter hohe, achteckige Urnenhalle mit Mansardendach: Die erste Aussegnungshalle des Krematoriums in der Gerichtstraße 37/38. Frank Duske weist auf den ehemaligen Sargaufzug, auf den Terrazzoboden mit Schlangenmotiv, der noch ganz staubig ist, weil er gerade geschliffen wurde. Oben im befinden sich zwei Balkone über die gesamte Raumlänge.
Duske kann sich gut vorstellen, dass hier eine Ausstellungshalle entsteht, in der vielleicht hin und wieder auch eine Modenschau oder ein kleines Konzert stattfinden kann. In den anderen Räumen, allen voran den Kolumbarien, in denen die Urnen standen, schweben ihm vor allem Ateliers, Projekt- und Büroräume vor – vielleicht für eine Plattenfirma, vielleicht für Filmproduktionsfirma.
Unterdirdische Halle
Nur für die unterirdische und daher tageslichtfreie Halle unter der Wiese vorm Krematorium, da hat Duske bislang noch keine Idee. Die Halle wurde erst kurz vor der Schließung des Krematoriums vor wenigen Jahren fertig gestellt. „Für den Katastrophenfall“, sagt Duske, also für kontaminierte Leichen. Vor zehn, fünfzehn Jahren, erzählt er, da hätte er vielleicht noch über einen Club nachgedacht für diese außergewöhnlichen Räumlichkeiten.
Doch heute denkt er vor allem an die Anwohner im dicht bebauten Wohngebiet. Ihm schwebt fürs gesamte Krematorium eher etwas Stilles vor. Das passt einerseits am besten zum Charakter des Baus, andererseits wird es das Gelände vielleicht am nachhaltigsten, auch am vorsichtigsten verändern.
Doch bis es so weit ist, muss sich der interessierte Besucher noch mit der Galerie Patrick Ebensperger zufrieden geben. Noch befindet diese sich direkt gegenüber der „Plantage“, einer typischen Berliner Eckkneipe.
Galerie Patrick Ebensperger, Plantagenstraße X (eine Blechtür gegenüber der Hausnummer 10). Öffnungszeiten: Samstag 12 bis 16 Uhr, Dienstag bis Freitag 12 bis 18.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja