Künstliche und menschliche Intelligenz: Denken wie Einstein
In ihrem Buch „Die Analogie. Das Herz des Denkens“ erklären Kognitionswissenschaftler, warum Computer eigentlich dumm sind.
Wie denkt der Mensch? Dieses Buch gibt darauf eine kurz gefasste, sehr einfache Antwort: indem das Hirn Analogien zwischen bekannten und unbekannten Dingen und Sachverhalten analysiert beziehungsweise entwirft. Durch Analogien werde sowohl das Sich-Zurechtfinden in der Welt erklärbar als auch die menschliche Kreativität.
Der amerikanische Physiker und Kognitionswissenschaftler Douglas Hofstadter ist mit seinem Buch „Gödel, Escher, Bach“ (1985) berühmt geworden, worin er Beziehungen mathematischer Art zwischen den Werken von Gödel, Escher und Bach herstellt. Der Erfolg dieses Buches rührte nicht zuletzt daher, dass der Autor darin eine überraschende, kreative Analogie zwischen scheinbar entfernten Bereichen entwirft. Hofstadters jetziger Koautor, der französische Kognitionspsychologe und Mathematiker Emmanuel Sander, hat seinerseits bereits viel zum Wesen der Analogie veröffentlicht.
Das vorliegende gemeinsame Werk der beiden Wissenschaftler „Die Analogie. Das Herz des Denkens“ ist gleichzeitig in einer englischen und einer französischen Ausgabe erschienen. Beide unterscheiden sich stellenweise voneinander, da viele der verwendeten Beispiele sprachlicher Art sind oder in einem anderen kulturellen Kontext anders verstanden werden.
Für die deutsche Ausgabe ist die Übersetzerin Susanne Held nicht genug zu loben, die begrifflich stets auf der Höhe der Thematik bleibt und sich virtuos durch verschiedene kontextuelle Schichten bewegt, hier Beispiele aus dem Englischen beibehält, dort welche im Deutschen erfindet und schon mal eine Passage aus der französischen Ausgabe übersetzt, wenn sie im deutschsprachigen Kontext passender erscheint als das analoge amerikanische Beispiel.
Intelligenz und Analogie
Hofstadter/Sander machen den Fokus für ihre Umkreisung des Analogiebegriffs sehr weit auf, so weit, bis er praktisch sämtliche Komplexitätsebenen der Äußerungen menschlicher Intelligenz umfasst. Ihr Anspruch besteht tatsächlich darin, Intelligenz allein anhand der Analogiefähigkeit des menschlichen Denkens zu erklären.
Die Ausgangsfrage lautet dabei in etwa folgendermaßen: „Wenn einerseits ein Zweijähriger einen Bernhardiner sieht und ’Schaf!‘ ausruft, und wenn andererseits ein genialer Physiker eine subtile, aufschlussreiche Zusammengehörigkeit zwischen zwei abstrakten Sachverhalten entdeckt – ist es tatsächlich denkbar, dass diesen beiden Prozessen ein und derselbe Mechanismus zugrunde liegt?“ Die Antwort, auf die dieses Buch zusteuert, lautet: „Na, klar!“ Man könnte gegen dieses Zitat einwenden, dass die Verwendung des Ausdrucks „Mechanismus“ für einen geistigen Vorgang selbst eine etwas unglückliche Analogie ist, da sie das Hirn einer Maschine gleichsetzt und mithin impliziert, es würde, wenn der Denkapparat eine Analogie erkennt, stets derselbe Schalter umgelegt. Wenn es so wäre, spräche nichts dagegen, den solcherart isolierten Analogiemechanismus irgendwann einmal in einen Superrechner einzubauen und damit eine „künstliche Intelligenz“ zu schaffen, die diesen Namen auch verdient.
Doch was Hofstadter/Sander ganz im Gegenteil mit ihrem Buch zeigen wollen, ist das Außerordentliche der menschlichen Intelligenz. Auch diesen Anspruch formulieren sie als Frage: „Wie kommt es, dass Computer trotz ihrer bestürzenden Geschwindigkeit und ihres riesigen Gedächtnisses so fürchterlich dumm sind? Und warum sind Menschen so klug, obwohl sie so langsam sind und so ein begrenztes, fehleranfälliges Gedächtnis haben?“
Auch diese Fragen sind natürlich rhetorischer Art, denn bereits der Titel des Buches liefert die Antwort: Es ist die Fähigkeit, Analogien zu ziehen, die das menschliche Denken ausmacht. Dieser Prozess beginnt bei der Kategorienbildung in der frühen Kindheit. Während das Kleinkind sehr weite Kategorien bildet (etwa „Schaf“ für alle sehr haarigen, vierbeinigen Tiere einer gewissen Größe), so verfeinern sich die Kategorien im Laufe der Zeit stetig. Die Bildung von Kategorien und das Finden von Analogien seien im Grunde ein und dasselbe, erklären die Autoren. Eine aktive Kategorie wirke wie ein inhaltlicher Filter: „Aktivierte Kategorien halten ständig nach Belegen ihrer selbst Ausschau.“ Und um auf kreative Analogien zu kommen, müsse man von einer Idee besessen sein.
Unsinnige Übersetzung
In einem weiteren Kapitel erläutern Hofstadter/Sander ausführlich, dass es, um eine erfolgreiche Analogie ziehen zu können, der Fähigkeit bedarf, den Kern eines Sachverhalts zu erkennen, ohne sich von der Oberfläche ablenken zu lassen. Auch dies ist ein sehr zentraler Gedanke, der auch den Originaltitel der amerikanischen Ausgabe liefert („Surfaces and Essences. Analogy as the Fuel and Fire of Thinking“). Die Fähigkeit zum Erkennen dieser Essenz ist, das führen die Autoren an zahlreichen Beispielen vor, ein derart komplexer Vorgang, dass es absurd wäre zu denken, eine Maschine könnte jemals zu etwas Vergleichbarem in der Lage sein.
Um ihre These zu illustrieren, unternehmen die Autoren unter anderem einen Abstecher ins Linguistische. Die dürftigen Fähigkeiten noch der ausgereiftesten Übersetzungsprogramme und deren sinnlose Resultate bei der Übersetzung einer zufällig ausgewählten Passage eines Textes von Françoise Sagan kontrastieren sie mit einer eigenen Übertragung. Zudem erläutern sie inhaltliche Anpassungen, die sie bei der jeweiligen amerikanischen und französischen Originalausgabe ihres eigenen Buches vornehmen mussten, um eine im jeweiligen kulturellen Kontext analoge Aussage zu erhalten. (Übersetzer nennen dies die Suche nach dem Äquivalent.)
Es wäre vermutlich sehr produktiv gewesen, wenn Hofstadter und Sander noch eine philologische Fachkraft mit an Bord gehabt hätten. In dem Bestreben, die aktivierte Kategorie „Analogie“ auf möglichst viele Ebenen des Denkens anzuwenden, gehen bei Hofstadter/Sander nämlich Differenzierungen innerhalb dieser Kategorie flöten. Dass es sich bei vielen Analogien um Metaphern handelt, findet zwar Erwähnung, jedoch nur sehr kurz und ohne entschiedene begriffliche Trennung.
Das Herz des Denkens
Über die Metapher, eines der produktivsten literarischen Verfahren überhaupt – und eines der manipulativsten Mittel der Rhetorik – haben immerhin Generationen von Linguisten und Literaturwissenschaftlern sich die Köpfe zerbrochen. Zweifellos ist eine Metapher eine Analogie, aber nicht jede Analogie ist eine Metapher.
Das wissen Hofstadter/Sander natürlich auch, die an anderer Stelle im Buch in manchmal recht langatmiger Ausführlichkeit abstrakt-logische Formen der Analogien durchspielen, die von einer bildlich-metaphorischen Analogiebildung kaum weiter entfernt sein könnten. Wie weit sich aber eine logische Analogie strukturell, funktional und nicht zuletzt in kognitiver Hinsicht von einer Metapher unterscheidet, ist eine Frage, die die Autoren schlicht nicht stellen. Zum Wohle ihres übergeordneten Vorhabens, in der Analogie schlechthin das „Herz des Denkens“ zu finden, haben sie kurzerhand Bernhardiner und Schaf in einer Kategorie zusammengefasst.
Dass die Produktivität von Analogien für das Denken ein geeigneter gemeinsamer Nenner sein kann, um die Kluft zwischen verschiedenen Bereichen menschlichen Geistesschaffens zu verringern, zeigt das letzte Kapitel, das – sozusagen als Krönung des Denkens – ganz Albert Einstein und der Relativitätstheorie gewidmet ist. Hofstadter/Sander zeigen darin, dass auch Einstein, um zu seinen Einsichten zu gelangen, mit zahllosen Analogien arbeitete.
Den Autoren kommt das Verdienst zu, das Einstein’sche Denken mithilfe dieser Analogien auch für Physikignoranten so weit verständlich zu machen, dass man nach aufmerksamer Lektüre des Kapitels zumindest eine grobe Intuition von der Relativitätstheorie und ihrer Entstehungsgeschichte hat.
Konsequent durchdacht
Interessant an den Analogien, die die Autoren Einstein entweder gezogen zu haben unterstellen oder aber selbst finden, um Zusammenhänge zu verdeutlichen, ist, dass es sich dabei offenbar zu einem großen Teil nicht um mathematisch-logische, sondern um bildliche Analogien, also Metaphern handelt. Das bedeutet mithin, dass das Einstein-Hirn beim Erdenken der Relativitätstheorie weitgehend mit denselben bildlichen Verfahren arbeitete wie zum Beispiel das Shakespeare-Hirn beim Verfassen so mancher unsterblicher Verszeile.
Dies allerdings ist eine Analogie, die zu ziehen den Autoren überhaupt nicht einfällt, vermutlich weil in ihrem Denken die Kategorie „Literatur“ nicht aktiviert ist. Zumindest an dieser Stelle der Argumentation nicht. Für einen Physiker endet die Suche nach dem „Herzen des Denkens“ folgerichtig bei der Relativitätstheorie. Man sollte diese kategoriale Voreingestelltheit sicher nicht als Mangel begreifen, sondern als Grundvoraussetzung für die Entstehung dieses beeindruckend konsequent durchdachten Buches.
Douglas Hofstadter/Emmanuel Sander: „Die Analogie. Das Herz des Denkens“. Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014, 783 S., 34,95 Euro
Ohne Kategorisierung, das haben Hoftstadter/Sander schließlich gezeigt, gibt es keine Analogiebildung, also auch kein Denken. Möglicherweise werden es andere sein, die von hier aus weiterdenken können. Die wieder andere Analogien ziehen und neue Bücher schreiben. Vielleicht ja eines mit dem Titel „Einstein, Shakespeare, van Gogh“.
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