piwik no script img

Kroatischer Nationalismus

■ betr.: „GMS = Größtmögliche Si mulation“ von Dunja Melčić, taz vom 12. 7. 95

Wenn Frau Melčić den großserbischen Nationalismus und die Bosnien-Politik der UNO kritisiert, kann ich ihr nur zustimmen.

Unverständlich bleibt hingegen ihre Forderung, der Westen solle Kroatiens Armee freie Hand für Militäraktionen in den serbisch besetzten Gebieten lassen. Die Folgen einer neuen kroatischen Offensive wären primär weitere Vertreibungen serbischer Zivilisten aus Kroatien. Die Autorin weiß doch genau, daß es bei den zurückliegenden Rückeroberungsaktionen der Kroaten in Westslawonien zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen kam, zum Beispiel zahlreiche Serben die Stadt Pakrac verlassen mußten. Kroatien reklamiert die serbisch besetzte Krajina zu Recht für sich, wird aber der vor dem Kriege 600.000 Menschen zählenden serbischen Volksgruppe vollständigen Minderheitenschutz und eventuell eine Art Autonomie garantieren müssen. Hier gab es vor Beginn des Krieges schwere Versäumnisse der Tudjman-Regierung, die damit den großserbischen Kriegstreibern in die Hände spielte. Vorrangig ist in jedem Falle eine friedliche Lösung, zumal eine eventuelle Eskalation durch Intervention Belgrads als Reaktion auf kroatische Aktionen nicht ausgeschlossen werden kann.

Im übrigen: Mir ist auch der kroatische Nationalismus suspekt, der sich gerne unter dem „demokratischen Mäntelchen“ versteckt. Ich bin überzeugt, daß Präsident Tudjman noch immer den großkroatischen Traum träumt und die Zeit dabei für ihn arbeitet. Die bosnischen Kroaten haben schließlich das am 1. März 1994 in Washington unterzeichnete Abkommen über eine Föderation der bosnischen und kroatischen Gebiete in Bosnien-Herzegowina insofern noch nicht in die Tat umgesetzt, als sie an ihrem „Mini-Staat“ mit Namen „Herceg-Bosna“ feshalten.

Das Washingtoner Abkommen sieht ausdrücklich die Möglichkeit einer Konföderation zwischen der muslimisch-kroatischen Föderation und dem Staat Kroatien vor. Nächster Schritt könnte die Verschmelzung beider Körperschaften zu einer neuen Föderation sein, einer Art „Großkroatien“, in dem die Muslime sich vollends ihrer staatlichen Identität beraubt sehen würden. Da die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zugunsten eines „Großserbiens“ voranschreitet, erscheint mir diese Möglichkeit als sehr wahrscheinlich, zumal die bosnisch-kroatische Föderation allein kaum überlebensfähig wäre. Bei der UNO und Nato würden sich die eiskalten Strategen der Macht stolz auf die Schultern klopfen, wäre damit doch eine Art „balance of power“-Modell geschaffen – auf Kosten der bosnischen Muslime natürlich.

Frau Melčić spricht von wildgewordenen Nationalisten in der „jugoslawischen“ Basketball-Mannschaft. Nun, als Besucher des Fußballspiels Hajduh Split gegen Ajax Amsterdam konnte ich als neutraler Beobachter ähnliche Vorkommnisse konstatieren: Tausende kroatischer Fans posierten in Bomberjäckchen mit „deutschem Gruß“ ... Wolfgang Schmitt, Landau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen