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Archiv-Artikel

Kritik der Woche Ach du dickes Ei! Ein Stück in 24 Stunden

Zu welcher Uhrzeit das Stück plötzlich ins Splatterhafte rutschte, können die vier Dramatiker nicht sagen. Es muss in den frühen Morgenstunden gewesen sein. Es hatte mit dem „philosophalen Ei“ angefangen und jetzt tauchen am Ende des Stückes zwei Puppen mit abgetrennten Köpfen auf.

Wenn man sich nicht zum Schlafen hinlegen will oder kann, sucht sich der Kopf eben andere Kanäle. Knapp 24 Stunden sind die Schreiber in diesem Moment schon auf den Beinen und bis zur Premiere der „Intemporale24“ sind es noch etwa zehn Stunden.

Der künstlerische Prozess bei diesem Projekt ist außergewöhnlich offen. Das Publikum darf überall hin. Den Schauspielern zuschauen, wie sie sich bei einer Aufwärmübung durch einen imaginären Wald kämpfen oder den Dramatikern gegenübersitzen, während sie brainstormen, recherchieren und schreiben.

Die Idee dazu, ein Stück in einem Tag entstehen zu lassen, hatten Marcel Sparmann und Lisa Trümner, beide Kulturwissenschaftler in Hildesheim. Davon begeistern lassen haben sich 40 Leute, die am vergangenen Freitag in einer ehemaligen Buchhandlung in Hildesheim vor einem Rattankorb stehen. Fünf Umschläge liegen darin, von denen nur Trümner und Sparmann den Inhalt kennen. In einem davon steckt ein Auszug aus dem Roman „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ von Henning Mankell und einer Seite aus dem Buch „Alchemie und Mystik“. Das ist die Vorgabe. Daraus soll in 24 Stunden ein Theaterstück entstehen.

Das Stück heißt „Real World Paradummies in Fire-Eier-Desire“, handelt von vier mehr oder weniger autistischen Charakteren, die alle irgend etwas mit dem philosophalen Ei zu tun haben. Ein roter Faden, eine Handlung ist schwer zu erkennen. Aber dass es fast unmöglich sein würde, den zu finden, wussten alle sehr schnell. Gegen zwölf Uhr sagt Regisseurin Katja Kendler zu den Dramatikern: „Wir vertrashen es. Das ist das einzige, was wir machen können.“

Es ist der gesamte Prozess, die Energie einer Mannschaft, die sich auf die Zuschauer während der 24 Stunden überträgt. Aber man muss sich darauf einlassen. Hier ist kein Angebot, das einfach konsumiert werden kann.

Im Stück, das das Publikum begeistert, aber verwirrt zurücklässt, hat Schauspieler Ulrich Reinhardt die besten Momente. Er erinnert stark an Mr. Bean. Schaut verwirrt, läuft wie auf Gummifüßen mit wiegendem Schritt und nestelt an seinen Fingern herum. Bei ihm wurde konsequent umgesetzt, viel mit Körpersprache zu erzählen. Und sein Monolog steht wie ein Motto für das ganze Konzept: „Eiweiß ist die Ursubstanz. In ihr ist alles vorhanden. Der Sinn und der Unsinn.“ Wenn man jetzt Eiweiß mit Intemporale24 ersetzt, ist das Projekt ziemlich gut beschrieben.Tim Meyer