■ Kritik aus dem Inneren der Bundeswehr: Soldaten ja – aber wofür?
Es lohnt sich, einmal nostalgisch zurückzublicken: In den frühen achtziger Jahren wußte man noch, wo der Gegner stand! Die Bundeswehr hatte einen klaren Auftrag, er war den Bürgern wie den Soldaten bekannt; die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung fand ihre Fixpunkte in der Nachrüstung, dem Rogers-Plan oder – selten genug – in Fragen zur Traditionspflege und der inneren Demokratisierung der Bundeswehr.
Und heute? Vereinigung, zweiter Golfkrieg, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien – Zäsuren einer Entwicklung, die in der sicherheitspolitischen und Friedensdiskussion keinen Stein mehr auf dem anderen gelassen hat. Bellizisten und Pazifisten, Gesinnungsethiker und Pragmatiker, Politiker und Militärs, Intellektuelle und Publizisten: Sie alle diskutieren und streiten um die „Neue Verantwortung Deutschlands“. Eigenartigerweise spielt die Bundeswehr – was sie dürfen soll oder können muß – dabei die Hauptrolle.
Minensucher im Persischen Golf, Zerstörer in der Adria, Sanitäter nach Kambodscha, Awacs über Bosnien-Herzegowina und nun „Truppen mit Selbstverteidigungskomponente“ nach Somalia. Immer mit dabei: das Grundgesetz und der Streit um Artikel 24/25 und 87a.
Es steht außer Zweifel: UNO- Truppen unter dem blauen Helm haben gezeigt, daß sie sehr wohl in der Lage sind, militärische Konflikte zu verhindern, Waffenstillstände zu überwachen, sogar den Sinneswandel weg vom Kampf hin zu Verhandlungslösungen zu moderieren. Auch humanitäre Hilfe ist oft nur durch ihre Anwesenheit, ihr Eingreifen möglich. Zypern, Golan, Libanon, das ehemalige Jugoslawien und Somalia sind dafür Beweis genug! Wo es nicht (mehr) funktioniert (Kambodscha, wieder Jugoslawien und Somalia), ist dies kein Beweis für die Unfähigkeit der Blauhelme, sondern dafür, daß Militär eben keine Allzweckwaffe ist. Diese Frage stellt sich wohl auch nicht mehr, sondern vielmehr: Was heißt „neue Verantwortung“ für die Bundeswehr? Landesverteidigung im Rahmen des Nato-Bündnisses steht dabei nicht zur Debatte, wobei die Frage nach dem Profil einer Nato der Zukunft hier offen bleiben kann und muß.
Doch dann beginnt die Grauzone, in der sich Politik und Militär, neuerdings auch die Justiz, gleichermaßen bewegen. Und dort liegen auch die Ursachen für die tiefgreifende Verunsicherung vieler Bürger, erst recht aber vieler Soldaten, was denn aus „ihrer“ Bundeswehr wird.
Die Mitwirkung der Bundesrepublik in internationalen Organisationen ist der Grundpfeiler deutscher Außenpolitik. Weniger die Vereinigung selbst als das damit zusammenhängende Ende des Kalten Krieges und der neugewonnene Handlungsspielraum der Vereinten Nationen, nicht zuletzt die aus jener alten bipolaren Weltordnung sich befreienden Völker und Regionen und damit verbundene Konflikte fordern neue Antworten – auch im Hinblick auf einen möglichen Einsatz der Bundeswehr.
Doch wie kommt es, daß sich die Fragestellung in der öffentlichen Diskussion so stark auf die Streitkräfte allein verengt? Es ist erklärbar, daß die Politik hilflos einer Situation wie in Kambodscha oder Bosnien-Herzegowina gegenübersteht, wo Aggressoren und Mörder unbeirrbar ihre Ziele verfolgen, die Verhandlungen und Abkommen mißbrauchen. Und es ist deutlich, daß der Einatz von Soldaten die letzte Möglichkeit zur Rettung wehrloser Opfer sein kann (wir erleben es ja gerade im Fernsehen). Daran sich im Rahmen der Vereinten Nationen zu beteiligen, gilt auch für die Bundeswehr. Dies setzt aber voraus, daß auch alle anderen Maßnahmen zur Krisenbewältigung versucht werden. Militäreinsatz darf kein aktionistischer Ersatz für tatsächliche oder vorgebliche Hilflosigkeit sein!
Verfolgt man, wie bundesdeutsche Politiker, insbesondere aber die Regierung und Abgeordnete der Mehrheitsfraktionen diese Frage geradezu stereotyp behandeln, möchte man verzweifeln. Der Gang vor das Verfassungsgericht im Awacs-Streit setzt dem nur die Krone auf, doch lassen sich anhand dieses Beispiels die Regeln gut erläutern: Die Bundesregierung beabsichtigt, sich an einer Aktion entsprechend eines Beschlusses des UNO-Sicherheitsrats zu beteiligen. Die Verfassungslage sei klar, Artikel 24/25 könne jeder lesen – so die einen. Verfassungsbruch, Artikel 87a, Bundessicherheitsrats-Beschluß („keine Bundeswehr-Soldaten out of area“) sagen die anderen.
Das Angebot der Opposition, die Verfassung für Blauhelm-Einsätze zu ändern, wird zurückgewiesen, weil auf mehr spekuliert wird: Kampfeinsätze sogar außerhalb der UNO sollen das Ziel sein. Diesem „Credo neuer Verantwortung“ muß sich alles unterordnen, auch die Notwendigkeit, Handlungsspielraum für Blauhelm-Einsätze zur Rettung der Opfer zu gewinnen.
Klare Vorgaben für einen Bundeswehreinsatz werden als Hemmschuh bei der Verfolgung sogenannter berechtigter Interessen angesehen, die Beteiligung des Parlaments als überflüssig erachtet. Ermächtigungs-, halt, nein, Entschuldigung! – Entsendegesetze könnten das ja regeln. Zweidrittelmehrheit suchen oder das Bemühen um einen sicherheitspolitischen Konsens – viel zu schwierig, zu mühsam! Und dann wird auch noch ein bißchen, nun, darf man „geschwindelt“ sagen? Die Einsatzfähigkeit der Nato und ihrer Awacs-Flugzeuge sei gefährdet, der Beschluß des Sicherheitsrates zur Überwachung des Flugverbotes ohne Deutsche am Boden und in der Luft nicht durchführbar. Ersteres ist schon richtig, doch es mußte nicht die Nato sein, die dies durchführt, erfolgten doch im zweiten Golfkrieg ganz andere Luftoperationen auch ohne die Beteiligung der Geilenkirchener Flieger. Ein Ausstieg wegen deutscher Unpäßlichkeit wäre zwar peinlich gewesen (für wen wohl?), doch die Aufgabe selbst hätten die USA, Frankreich oder Großbritannien (wieder einmal) übernehmen können. Die Richter jedenfalls gaben grünes Licht – vorläufig!
Wo stehen nun die Soldaten der Bundeswehr? „Rechtssicherheit!“ fordert sogar der Deutsche Bundeswehr-Verband seit langem. Das sagt eigentlich alles. Minen räumen, Hilfsflüge, Sanitätseinsatz, Blockadeüberwachung seien doch nur für einen guten Zweck, wird beschwichtigt. Ob man etwa dagegen sei? Von anderer Stelle hört man, nun müsse (sprich: könne) endlich wieder kriegsnah ausgebildet werden, schließlich müßten die Soldaten ja überlebensfähig gemacht werden. Die wissen aber gar nicht, wie ihnen geschieht, was sie in Zukunft erwartet.
Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen – diese Grundlage bedeutet wohl nicht mehr das Gleiche wie früher. Schlimm, daß diese Bedeutungsveränderung in einem schleichend- verschleierten Prozeß erfolgt. Die dafür Verantwortlichen müssen sich fragen lassen, was sie eigentlich vorhaben! Jörg Schemmer
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