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Kritik an Schizophrenie-Artikel„Anthropologischer Ansatz“ fehlt

betr.: „Stimmen und Blitze im Gehirn“ von Claudia Borchard-Tuch, taz vom 30. 3. 01

[...] Man muss kein Anhänger der Antipsychiatrie sein, um zu bemerken, dass Frau Borchard-Tuchs Artikel den Informationsgehalt von Werbebroschüren der Pharmaindustrie noch unterbietet. Es reicht, den einzigen psychiatrischen Experten, den sie zitiert, beim Wort zu nehmen: „Nicht nur medizinischen Laien macht es Mühe, diese Krankheit zu verstehen.“ Derselbe Psychiatrieprofessor hat vor wenigen Monaten auf einer Fachtagung in Berlin die von Frau Borchard-Tuch hoch gejubelten Neuroleptika offen als das bezeichnet, das sie für einen großen Teil der Betroffenen tatsächlich sind: als „Teufelszeug“, das Psychiater verschreiben, weil sie nichts Besseres haben und weil sie weder die Ursachen noch die inneren Mechanismen dieser von der Psychiatrie selbst nur als Arbeitshypothese behaupteten „Krankheit“ kennen.

Auch wenn man konzediert, dass ein Zeitungsartikel für eine umstrittene wissenschaftliche Position Partei ergreifen kann, darf er jene – hier nicht einmal ausgewiesene – Einseitigkeit nicht auch noch so verkürzen, dass handfeste Fehlinformationen übrig bleiben. Ein Beispiel: Auch der hartgesottenste Verfechter einer biologistisch-genetisch orientierten Psychiatrie würde nicht behaupten, dass „mit Neuroleptika (...) das gestörte Gleichgewicht der Botenstoffe wieder eingestellt“ würde. Das Gegenteil ist der Fall: Neuroleptika lähmen und blockieren unspezifisch alle möglichen neurologischen Prozesse im Gehirn, darunter auch jene, die mit der als störend erlebten Symptomatik in Verbindung gebracht werden. Das ist so, wie wenn ein Orthopäde bei einem Knöchelbruch einen Ganzkörpergips anlegen würde und den Betroffenen empfiehlt, prophylaktisch doch noch einige Jahre im Rollstuhl zu verbringen, weil dadurch das Risiko eines erneuten Bruchs vermindert werden könne. [...] THILO TROTHA, Berlin

„Schizophrenie ist gutartig“ . . . „Ein neuer Krankheitsschub – das Allerschlimmste, was passieren kann.“ Der erste und der letzte Gedanke im Artikel offenbart das Dilemma der Autorin, das zugleich das der gängigen Psychiatrie spiegelt: Sie haftet im rein medizinischen Denken, bleibt in rein pathologischer Betrachtung hängen. Es fehlt der „anthropologische Ansatz“, das Ringen um grundsätzliches und individuelles Verständnis: Über sich hinauszudenken und sich dabei zu verlieren, an sich zu zweifeln und dabei auch zu verzweifeln, gehört zum Wesen des Menschen.

Aus der verbindenden Realität zeitweilig auszusteigen oder die Trennung zwischen inneren und äußeren Impulsen zeitweilig zu verlieren, gehört zum Repertoire bzw. zur Hypothek besonders dünnhäutiger Menschen in den Krisen des Lebens, die jedem zu schaffen machen. Die Beteiligung des Hirnstoffwechsels an existenziellen Krisen, lässt uns versuchen, über Neuroleptika Einfluss zu nehmen, um zeitweilig ein dickeres Fell zu vermitteln. Das Ringen um Verständnis können sie nicht ersetzen, es erfordert eine psychotherapeutische Grundhaltung. So oder so, auszuschließen sind Lebenskrisen ohnehin nicht – es sei denn um den Preis der Depression. Genausowenig ist die Fähigkeit des Menschen, psychotisch zu werden, gänzlich abzuschaffen – es sei denn um den Preis der Menschlichkeit. PD DR. THOMAS BOCK, Uni-Kranken-haus Eppendorf, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

[...] Unter dem Sammelbegriff Schizophrenie werden eine Unmenge verschiedener seelischer und sozialer Probleme zusammengefasst. Hier von Krankheit zu reden, soll die Gabe gefährlicher Drogen, der Neuroleptika, rechtfertigen. Auch die atypischen Neuroleptika sind alles andere als unproblematisch. Dass sie besser als die klassischen Neuroleptika sind, ist bislang nur eine Hoffnung. Ihre massenhafte Verschreibung liegt am noch bestehenden Patentschutz dieser Substanzen. Dadurch sind sie um ein Vielfaches profitabler als Medikamente, deren Patentschutz abgelaufen ist. MATTHIAS SEIBT,

Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener, Bochum

Ist der Artikel aus einer Broschüre der Pharmaindustrie abgekupfert? Diese Frage stellt sich, wenn ohne jedes Wimpernzucken nicht nur während einer seelischen Krise die Behandlung mit Neuroleptika empfohlen wird, sondern auch danach für ein bis zwei Jahre, nach einem Rückfall für „mindestens fünf Jahre“. Von einer Veränderung der sozialen Situation ist keine Rede, obwohl zugegeben wird, dass soziale Stresssituationen den Ausbruch der „Krankheit“ begünstigen.

Letzten Endes werden unter Berufung auf ominöse „Familien- und Zwillingsstudien“ erbliche Faktoren verantwortlich gemacht. Wer so in die Schublade der potenziell lebenslänglich Kranken sortiert wurde, kann sich sicher schwer gegen endlose Medikamenteneinname wehren. Was in Altersheimen bis jetzt noch als „Ruhigstellung“ angeprangert wird, glücklicherweise, das propagiert die taz als zwingende Langzeit-„Therapie“ nach Krisenphasen von Jüngeren. Wer einen so unkritischen Text abdruckt, sollte zumindest kurz über die Autorin des Artikels informieren, wie es sonst in der taz die Regel ist. URSULA WÖLL, Wetzlar

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