Kritik an Diätenerhöhung: Selbstbedienung im Bundestag
Die Erhöhung der Abgeordnetendiäten um 16,4 Prozent sorgt für Streit. Der Sozialverband nennt sie "realitätsfremd" - und die Opposition geißelt sie als "maßlos".
BERLIN taz Schamlos, gierig, ignorant: Die Diätenerhöhung für Bundestagsabgeordnete und Regierungsmitglieder stößt bei Opposition und dem Bund der Steuerzahler auf heftige Kritik. Weil der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst auch auf die Parlamentarier übertragen werden soll, steigen die Abgeordnetendiäten um 16,4 Prozent innerhalb von drei Jahren - so hat es die große Koalition am Dienstag beschlossen.
"Populär ist das nicht, das ist klar", sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zum Beschluss - diese Einschätzung ist noch positiv formuliert. Als "ignorant und realitätsfremd" bezeichnete der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Gunnar Winkler, die Diätenerhöhung. "Maßlos" fand sie der FDP-Parteivorsitzende Guido Westerwelle, und Grünen-Parteichefin Claudia Roth sprach von einem "Selbstbedienungsladen". Bodo Ramelow, Vizechef der Linksfraktion, kritisierte: "Es ist einfach schamlos, was da geschieht." Er kündigte an, seine Erhöhung an soziale Initiativen zu spenden.
Bereits im November 2007 hatte der Bundestag zwei Diätenerhöhungen festgelegt, am Dienstag nun haben die Fraktionen von Union und SPD zwei weitere beschlossen. Im vergangen Jahr erhielten Abgeordnete noch 7.009 Euro, seit Januar sind es 7.339 Euro. Ab 2010 werden es dann 8.159 Euro sein. Die große Koalition verteidigt ihren Beschluss als "normale Anpassung" und sachlich richtig. Juristisch korrekt ist sie jedenfalls: Im Dezember 2007 hatte die große Koalition entschieden, dass sich Abgeordnetendiäten künftig an der Besoldungsstufe für Bundesrichter orientieren sollen. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann steht hinter der Reform und sagte, das jetzige System sei "so transparent wie die Preisetiketten bei Aldi".
Zweifel, ob der Zeitpunkt für eine Diätenerhöhung richtig ist, gibt es nur vereinzelt innerhalb der SPD. "Wir sollten die Diäten erhöhen, wenn wir auch den Mindestlohn durchgesetzt haben", sagte etwa der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach (SPD). "Wie will die Union vermitteln, dass sie sich selbst das Gehalt erhöht, während manche Leute für 4 Euro die Stunde arbeiten gehen müssen?"
Tatsächlich erhalten die Abgeordneten in drei Jahren eine Gehaltserhöhung von 1.150 Euro im Monat, mehr Geld, als viele Menschen insgesamt verdienen. Zusätzlich beziehen sie eine steuerfreie Aufwandspauschale von momentan 3.720 Euro. Auch die Altersbezüge der Abgeordneten steigen mit der Diätenerhöhung: Nach acht Jahren Parlamentszugehörigkeit bekommt ein Abgeordneter nun 1.632 Euro - ohne Beiträge eingezahlt zu haben.
Die Tariferhöhung für den öffentlichen Dienst soll auch auf die Bundesregierung übertragen werden. Damit werden auch die Gehälter der Kanzlerin, der Minister und der Staatssekretäre erhöht. Nach Angaben des Bundes der Steuerzahler verdient ein verheirateter, kinderloser Minister bisher rund 12.900 Euro.
Die große Koalition will ihren Gesetzentwurf am Freitag im Bundestag beraten. Grüne, FDP und Linke kündigten an, gegen die Diätenerhöhung zu stimmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus