: „Kristina, mein Vögelein...“
Ein Deutsch-Leistungskurs trifft einen echten Dichter: Lyriker Norbert Hummelt liest aus seinem Werk und lässt Gedichte schreiben. Dabei entsteht aus dem Nichts schwülstige Freiheitskampf-Poesie
VON FELIX ZIMMERMANN
Da sitzen sie in einem U aus Tischen, 26 Schülerinnen und Schüler, Deutsch-Leistungskurs des Schulzentrums an der Kurt-Schumacher-Allee. Das U ist ein Ü, denn vorne, in der Öffnung der Tischanordnung, sitzt Norbert Hummelt. Den kennt, wer Lyrik liest. Die Zeit nannte seinen Band „totentanz“ „traumwandelnd und traumwandlerisch“, „kunstvolle Verse“, die sich mitunter zu kleinen Romanen weiteten.
Hummelt ist an diesem Vormittag im Saal der Alten Stadtwaage ein Deutschlehrer, ein Lyrik-Workshop-Leiter, ein Autor, der in eine andere Rolle schlüpft, bevor die Schüler ihre Rolle wechseln und Dichter werden. Ein Poetry-Literatur-Workshop im Rahmen des Literaturfestivals „Poetry on the Road“, veranstaltet von „Workshop Literatur e.V.“. Dessen Leiterin Ursel Bäumer will Autoren der Gegenwartsliteratur und Schülerinnen und Schüler zusammen bringen – außerhalb der Schulen. Anderthalb Stunden werden das, die mit der These brechen, Deutschunterricht sei, wenn Literatur keinen Spaß mehr mache.
Hummelt liest aus seinen Gedichten, leicht düster stets, es nieselt und nebelt im „totentanz“, der so beginnt: „furcht vor dem dunkel ist es nicht alleine/ man kennt sich kaum u. will auch nicht viel mehr...“ Er will seine Lyrik als Echo der menschlichen Existenz und der vergehenden Zeit verstanden wissen. Abstrakt klingt das, doch sofort gehen die Finger hoch, als Hummelt um Fragen bittet, Technisches und sehr Lebenspraktisches wollen die Schüler wissen: Ob seine Gedichte einen politischen Hintergrund haben, fragt Lezgin Kiy, in Kurdistan geboren. Der 18-Jährige schreibt selbst gelegentlich, er fordert, Lyrik, Kunst überhaupt, müsse politisch sein. Hummelt bleibt da im Ungefähren. Seine Gedichte orientierten sich nicht an aktuellen Ereignisse, seien „eher nicht“ politisch, wenngleich „natürlich Gedichte immer auch „Statements“ sind. Ein Mitschüler von Kiy fragt, ob Hummelt von seiner Arbeit leben kann, was der bejaht. Das hängt auch damit zusammen, dass er Workshops gibt und fürs Radio produziert.
Dann wird gedichtet. Sieben Wörter sollen die Schüler nennen, die in ihren Gedichten vorkommen müssen. Sie entscheiden sich für Freiheit, Vogel, Blut, Auge, Straße, Laterne, Seele. 15 Minuten Stille, Wörter wälzen. Und dann: Alles ist dabei. Lezgin Kiy trägt ein Freiheitsgedicht vor, was Hummelt als Beispiel dafür nimmt, wie sehr der kulturelle Hintergrund einen Inhalt beeinflussen kann: „Meine Seele weint aus einer Wunde, die nach Freiheit schreit. In den Augen der Menschen um mich sieht man das Leid, das auf sie wie eine Laterne scheint. Die Straße voller Blut geflossen aufgrund von starker Wut. Viele starben den Märtyrertod für ihre Ziele wurden sie durchlöchert wie ein weißer Vogel von Schrot.“ Das kann nur einer schreiben, dessen Leben um den kurdischen Freiheitskampf kreist. Und dann: „Kristina, mein Vögelein, wie gern würd ich jetzt bei dir sein. Blick ich durch deine Augen in deine Seele, erblick ich Freiheit, so liebevoll und gerne wie auf der Straße die Laterne. Ich finde dich so gut, wie mein eigen Fleisch und Blut.“ Liebeslyrik von Maximilian Timm, 16, der sagt, das sei nicht ernst gemeint. Irgendetwas aber musste er halt machen mit den sieben Wörtern.
Hummelt ist verzückt von der Vielfalt. Eine tolle Gruppe sei das gewesen, mit guten Fragen und kreativ noch dazu.