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Krisenbewältigung im TropensozialismusKuba entlässt 500.000 Staatsdiener

"Zu aufgebläht" seien die Staatsbetriebe, erklärt der kubanische Gewerkschaftsbund und kündigt eine massive Entlassungswelle an. Die freigesetzten Arbeitskräfte sollen in die Privatwirtschaft gehen.

Eine Verkäuferin eines Souvenirshops in Havanna wartet auf Kunden. Wird sie bald nicht mehr auf der Gehaltsliste des Staates stehen? Bild: dapd

HAVANNA rtr/afp | Das kommunistisch regierte Kuba bricht im Kampf gegen die Wirtschaftsmisere das Dogma sicherer Arbeitsplätze im Sozialismus. Mehr als jeder Fünfte der etwa fünf Millionen Staatsbediensteten soll entlassen werden. Allein bis März würden 500.000 Beschäftigte staatlicher Betriebe und Verwaltungen auf die Straße gesetzt, kündigte der Gewerkschaftsbund am Montag an. Außerdem würden die Entlassenen dann nicht mehr wie früher bis zu 60 Prozent ihres Lohns als Arbeitslosenhilfe bekommen, sondern müssten sich andere Einkommensquellen suchen.

Aufgefangen werden sollen sie von neuen privaten Firmen, die im Zuge der von Präsident Raul Castro in Aussicht gestellten Wirtschaftsreformen gegründet werden sollen. Die Regierung plant die Ausgabe von 250.000 Lizenzen für kleine Handwerksbetriebe und Einzelhändler. Noch kontrolliert der kubanische Staat 95 Prozent des Wirtschaftslebens.

Die Massenentlassungen unter dem jüngeren Bruder von Revolutionsführer Fidel Castro sind der bislang radikalste Schritt der Regierung, die Wirtschaftskrise zu bekämpfen und die 1968 total verstaatlichten Kleinunternehmen wiederzubeleben. Letztendlich würden in den nächsten Jahr über eine Million Mitarbeiter der Staatswirtschaft entlassen, erklärte der Gewerkschaftsbund. Gut 85 Prozent der Beschäftigten stehen in Kuba beim Staat in Lohn und Brot. Die Betriebe sind ähnlich wie jene als "sozialistischen Wärmestuben" verspotteten Kombinate zu Zeiten der DDR wenig effektiv.

"Unser Staat kann nicht und soll nicht länger Betriebe mit aufgeblähten Gehaltslisten am Leben erhalten, die die Wirtschaft schädigen", erklärte der Gewerkschaftsbund. In den kommenden Jahren werde es zahlreiche neue, nicht staatliche Beschäftigungsformen geben, die Platz für Hunderttausende Staatsbedienstete böten. Insgesamt leben 11,2 Millionen Menschen in dem Karibikstaat.

Auch Fidel Castro, der 49 Jahre lang Kuba regierte bevor er wegen Gesundheitsproblemen die Macht an seinen Bruder abgab, hatte einem Medienbericht zufolge das Scheitern des Sozialismus auf der Karibikinsel eingeräumt, die ihm zugeschriebenen Äußerungen später jedoch bestritten. "Das kubanische Modell funktioniert selbst bei uns nicht mehr", zitierte der US-Journalist Jeffrey Goldberg den 84 Jahre alten Revolutionär. Goldberg hatte den "Maximo Leader" gefragt, ob sich der Export des Sozialismus in den kubanischen Farben noch lohne.

Goldberg äußerte sich überrascht über Castros Abrücken von den Äußerungen. Der langjährige Staatschef hatte am Freitag erklärt, er sei missverstanden worden. Goldberg sagte dazu am Montag, er könne nicht nachvollziehen, wie Castro zu dieser Auffassung gelangt sei, zumal dieser sich auch in der Vergangenheit ähnlich kritisch über die Verhältnisse auf der Insel geäußert habe.

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10 Kommentare

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  • T
    Tania

    Schade dass gerade die Taz, die sich als eher kritisch gibt die Verleumdungskampagne der Konzerne mitmacht. Berichtet doch mal darüber, dass Kuba das einzige Land auf der Welt ist, das nachhaltig wirtschaftet, trotzdem alle zu essen haben, Bildung, Kleidung und Wohnung. Das leistet sonst kein Land auf der Welt! Das System ist für mich also das bester der Welt, da an vorderster Stelle ja wohl die Erhaltung unserer Lebensgrundlage steht, erst wenn dass alles gegeben ist, und der Mensch so intelligent ist, das nicht zu gefährden, braucht man weniger Gesetzte und Vorschriften. Luxus für jeden auf der Welt gibt es nun mal nicht, Nahrung, Bildung, Kleidung und Wohnraum für alle wäre schon drin, wenn die Verteilung stimmen würde.

  • A
    Arnold

    Ich bin zweimal auf Kuba gewesen und hatte bei meiner letzten Reise vor 2 Jahren den Eindruck, dass die Versorgungslage wegen der Bauernmärkte etwas besser geworden war. Allerdings ist die Einführung einer konvertiblen Währung ein Unding, denn sie führt (übrigens wie in der damaligen DDR) zu einem 2-Klassensystem derer, die CUC (die konvertible kubanische Währung) besitzen und sich in den 'Intershops' fast alles kaufen können und denen, die nur kubanisches Pesos haben, mit denen man nur in wenigen Einrichtungen etwas kaufen kann. Die "libreta", mit der man bestimmte Grundnahrungsmittel jeden Monat rationiert gratis bekommt, reicht nicht zur Ernährung. Die Situation ist daher schon kritisch. Die Maßnahmen von Raul Castro gehen in die richtige Richtung, aber ob sie die jetzige Regierung retten können, ist zweifelhaft.

    Was die Informationsfreiheit betrifft, so empfand ich sie nicht so eingeschränkt, wie hier oft behauptet wird, denn in den großen Städten gibt es Internet, dessen Zugang allergings teuer ist. Nichts desto trotz sind auf bestimmten websites, über die ich Kontakt zu kubanischen Freunden habe, mehr Kubaner online als ich das in allen anderen Karibik-Staaten erlebe. Das hat auch mit einem solidarischeren Umgang dort zu tun. Wer Internet hat, lässt auch all seine Freunde davon partizipieren. Ansonsten konnte ich mich völlig frei und sicher dort bewegen und sehr offen auch systemkritische Diskussionen mit den äußerst freundlichen Menschen führen. Das Gefühl hatte ich in Santo Domingo z.B. nicht bei meinen dortigen Besuchen.

  • B
    Bobby

    @dww:

    also, ich habe in Kuba an der Uni im Internet gesurft. Nur soviel zu der Behauptung es gäbe kein Internet. Auch gibt es mehr als eine Zeitung. Auch wenn die Granma sicherlich nicht die Krone des unabhängigen Journalismus ist, aber so viel Ehrlichkeit muss auch von Regimekritikern da sein, dass sie nicht so einfach lügen... kompliziertere Lügen sind das Mindeste.

  • E
    exi

    Hr. Castro sollte erst einmal einen Blick in die anderen lateinamerikanischen Staaten werfen, bevor er voreilig 'Revolutionen' versucht. Denn die Entlassung ist gewiss, die Aufnahme in private Firmen nur erträumt. Falls doch keine Übernahme stattfindet, falls keine privaten Unternehmen starten, falls sich diese nicht behaupten können, dann droht Massenelend.

    Natürlich hat es Raul leicht sich notfalls als 'Patron' auf einer Ranch einzuschließen und einen großen Bogen um die Slums zu machen. Aber dieser Ausflucht dürfte nur von kurzer Dauer sein. Denn die Kubaner dürften eher revoltieren als freiwilig zu krepieren.

  • SS
    Sebastian S.

    Durch durchschnittliche Lebenserwartung in Kuba beträgt 77,5 Jahre. Also so schlecht können die kubanischen Ärzte ja nicht sein...

    Im übrigen wurde von der UNO bestätigt, dass Kuba das einzige Lateinamerikanische Land ist, in dem es keine unterernährten Kinder gibt.

    Das sind Fakten, die man auch als Kuba-Kritiker nicht leugnen kann. Man muss die ganze Sache halt einfach differenziert betrachten: Kuba ist weder ein sozialistisches Paradies, noch ein Verbrecherischer Schreckensstaat, in dem überhaupt nichts funktioniert.

  • R
    robert

    ist schn witzig, wie kubas wirtschaftliche probleme hier so eindimesional betrachtet werden. kuba hat kein internet? lieb übrigens daran, dass die unterseekabel in mittelamerika von den usa kontrolliert werden. die boykotieren kuba bekanntlich seit jahrzehnten. soll ich weitermachen?

  • E
    EnzoAduro

    @Roland

    Wer von Systemmedien oder imperialistischen Medien redet, sollte sich fragen ob er noch im Rationalen politischen Bereich ist. Oder ob er ihn nicht verlassen hat. Ob nun rechts oder links ist eigentlich egal.

     

    Kuba war eines der reichsten Länder Amerikas vor der Revolution. Das es den Leuten da heute besser geht als in Haiti ist also nicht unbedingt auf den Kommunismus zurückzuführen...

  • D
    dww

    Amigo, ich glaube nur an die Statistiken, die ich selbst gefalescht habe.....

     

    Die weisse Einheitspille wirkt Wunder - hilft bei allen Krankheiten.

    Die Aerzte haben Kurzausbildung - fuer mehr reicht´s nicht.

    wie schoen, dass es weniger Analphabeten gibt - aber was sollen die denn lesen ? es gibt nur 1 Zeitung der Regierung , es gibt kein Internet.

     

    Die sozialistischen Waermestuben - wie ein Forist die

    Beschaeftigungspol. der DDR nannte - wurden nur moeglich, weil Venezuela TAEGLICH 100.000 Barrels petroleum geschickt hat, das Kuba weiterverkauft und nicht bezahlen muss.

    Die angeblichen Aerzte und die sonstigen Kubaner wurden vom Castro Regime an Venezuela praktisch als Sklaven verkauft.

    Jetzt hat Chavez kein Geld mehr und sein Regime ist in Gefahr ....also keine Hilfe mehr fuer die Brueder und Schwestern in Kuba.

    Kuba ist am Ende,mal sehen, wen sie jetzt finden, um ihn anzubetteln. Auf Spanisch wuerde ich das anders formulieren......

  • MS
    Michael S.

    @ Roland Effekt

     

    Möglicherweise weil die Krakenarme von Castros medialen Wächtern nicht nach Berlin reichen und hier die Presse frei berichten kann und Castro die taz nicht in sein parteigesteuertes Jubelblättchen umfunktionieren kann.

  • RE
    Roland Effekt

    Schon wieder reiht sich die TAZ mit unqualifizierter Berichterstattung über Kuba in die imperialistische Verleumdungskampagne gegen die Republik Kuba ein. Warum berichten Sie nicht über die Fortschritte im Gesundheitssystem? Oder berichten über Kuba als das Land mit den wenigsten Ananlphabeten in ganz Amerika?