Krise der linken Bewegung : Bitte weiterdenken!
Hören wir auf, Plastikwörter zu gebrauchen. Fünf Euro ins Schweinderl, wer »Klimakrise«, »Respekt«, »das geht ja gar nicht« oder »Technologieoffenheit« sagt. Hören wir auf damit, uns dümmer zu machen als unbedingt nötig. Denken wir weiter.
taz FUTURZWEI | Seit vielen Jahren frage ich mich, was »links« ist. Gerade hat mich der Cicero als »ausgesprochen linken Sozialpsychologen« bezeichnet, sodass »links« offenbar wenigstens noch als Zuschreibung von der rechten Seite her funktioniert.
Aber seit »links« einerseits in theoretisch halbseidenem Postkolonial-critical-whiteness-identitätspolitischem-kulturelle-Aneignung-und-so-weiter-Jargon besteht und andererseits durch das Hilfswort »progressiv« ersetzt ist, kann ich mich damit nicht mehr identifizieren. Besser als die Linken selbst wissen ja ohnehin die Rechten, was »links« ist, nämlich irgendwie diese mit nicht nachlassendem Sucheifer allerorten aufgefundenen »links-grün-urbanen« SpießerInnen, die zur persönlichen Kränkung von Ulf Poschardt Lastenräder besitzen.
Ach, Leute: »Links« war mal das, was sowohl praktisch als auch theoretisch immer einen materialistischen Ausgangspunkt hatte, weshalb es bei »links« um soziale Gerechtigkeit ging, um den Kampf darum und seine Funktion als historische Produktivkraft. Man könnte auch sagen: »Links« war immer der Kampf um Gleichheit, Wokeness ist dagegen der um Ungleichheit. Übrigens ist der Kampf um Gleichheit und Gerechtigkeit nicht erklärungsbedürftig – den verstehen alle, inklusive seiner Gegner. Weil es eben um Materielles geht, um die Existenzlage und die mit ihr verbundenen Chancen auf ein gutes Leben. Während das meiste im heutigen sogenannten linken Spektrum Insiderthemen für Menschen sind, die hauptsächlich auf Kämpfe um das Symbolische fixiert sind, weil die kostenlos sind und weder Anstrengung kosten noch Karrierechancen verbauen, aber dafür Distinktionsgewinne erlauben.
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Todesclowns des Zivilisationsprozesses
Die Ersetzung sozialer Kämpfe durch symbolische findet im Rahmen eines historischen Zeitraums statt, der durch Deregulierung der Märkte, Vermarktlichung aller gesellschaftlichen Bereiche einschließlich Wissenschaft, Kultur und Biosphäre sowie der Magisierung von Wachstum und Individualisierung gekennzeichnet war und ist. Der vorläufige Gipfel dieses Prozesses ist die libertäre Menschenfeindlichkeit vom Typ Peter Thiel, Elon Musk und anderer Todesclowns des Zivilisationsprozesses, für die es ein Gemeinwohl noch nicht einmal rhetorisch mehr gibt. Ob es danach noch schlimmer geht, weiß niemand. Vom Spätkapitalismus, den soziologische Kollegen schon seit Jahrzehnten fantasieren, habe ich jedenfalls noch nix gesehen: Mir scheint der Kapitalismus eher zeitlos geworden und sich in seinen Ausbeutungs- und Vernutzungsstrategien desto mehr zu radikalisieren, je mehr Zerstörung an der Natur er schon angerichtet hat.
Möglicherweise schafft er sich nur ganz am Ende selbst ab, der Kapitalismus, weil sein globaler Siegeszug solche Zerstörungswirkungen auf die gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen hat, dass der Marktwirtschaft zunehmend das Problem entsteht, dass die Kosten für die Bewältigung der angerichteten Schäden die durch die Zerstörung möglichen Gewinne übersteigt. Aber das kann man noch eine Weile weitermachen, die Sozialisierung der Kosten bei Privatisierung der Gewinne ist ja gut eingeübt. Und die Klimaökonomie schon eifrig dabei, den nächsten Beelzebub marktgängig zu machen – die »Entnahmewirtschaft«, die – federführend am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung – supersmarte Techniken der CO2-Entfernung aus der Atmosphäre mit noch smarteren Regulierungen erfindet. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass es nichts gibt, was im Kapitalismus nicht in Geld verwandelt werden könnte.
Die Ersetzung des Politischen durch Haltung
Aber zurück zu dem interessanten Phänomen, dass die Transformation sozialer Kämpfe in symbolische genau mit dem Prozess der Neoliberalisierung der Welt zusammenfällt. Da passt dann plötzlich wieder alles zusammen und findet seine friedliche Koexistenz im Universum der Bullshit-Wörter, die vom Quatsch der »hart arbeitenden Bevölkerung« über den »internationalen Wettbewerb« bis zur »Augenhöhe« reichen, vom »Menschen mitnehmen« bis zu »da bin ich ganz bei dir!« Tatsächlich übernimmt der inflationäre Wortmüll, der aus BWL-Sprech, Therapiejargon und Gleichgültigkeit gegenüber aller Ungerechtigkeit wie von ChatGPT zusammengequirlt scheint, die Funktion der allgemeinen Entpolitisierung oder anders gesagt: die Ersetzung des Politischen durch – Haltung.
Man kann ja voll gegen die Eskalation des Klimawandels sein, ohne auch nur einen Furz dagegen zu tun – und an dieser Stelle merkt Futurzwei-Chefredakteur Peter Unfried an: »Da sind wir beide die besten Beispiele!« Guter Punkt: Denn die Substitution von Eingreifen und Handeln durch virtuoses Jonglieren mit halbgaren Begriffen und »das geht ja gar nicht« bedienen wir natürlich auch gern, ohne uns über die faktische Folgenlosigkeit unserer hübschen Anstrengungen Rechenschaft abzulegen. Dieter Hildebrandt hat das mal so formuliert: Kein einziges Atomkraftwerk in Deutschland sei ohne seinen entschiedenen Widerstand ans Netz gegangen! Tja, und keine Verschärfung der Flüchtlingspolitik und kein Waffenexport nach Saudi-Arabien wird ohne Zerknirschung des grünen Koalitionspartners durchgewunken. Und kein Zynismus der Abschottung Europas gegen die neuerdings »Irreguläre« genannten Menschen ohne die Betonung der echten Humanität, die man natürlich sichern wolle – gleichlautend bei CDU/CSU, SPD und FDP. Solche Anstrengung des Begriffs, müsste der Kanzler als Meister der Phrase anmerken, ist »sehr, sehr historisch« – nämlich die Kunstfertigkeit, jegliche Schweinerei mitzumachen, dabei aber stets moralisch zu bleiben.
taz FUTURZWEI N°28: Weiterdenken
Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?
Über Sprache und Worte, die das Weiterdenken behindert.
U.a. mit Samira El Ouassil, Heike-Melba Fendel, Arno Frank, Dana Giesecke, Claudia Kemfert, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Bernhard Pörksen, Bernhard Pötter, Florian Schroeder, Paulina Unfried, Harald Welzer und Juli Zeh.
Haltung ist genauso wie Moral eine Kategorie der Vergemeinschaftung, sie gestattet, unbelastet von früher formulierten Ansprüchen durchzukommen und seine Überzeugungen damit zu synchronisieren, was gerade in der Eigengruppe Konjunktur hat. Haltung kann man schon haben, bevor man auch nur das Geringste verstanden hat, Haltung suspendiert von der Anstrengung, sich mit Argumenten zu befassen, die von jemandem kommen, den man schon aus Gründen der Haltung ablehnen muss. Und vor allem: Haltung kann man heute in Bezug auf dieses und morgen auf sein Gegenteil haben, vorausgesetzt, sie ist in der Eigengruppe mehrheitsfähig. Das ist der Zeitgeist von »links« bis »rechts« und wieder zurück.
Wir haben uns das Weiterdenken abgewöhnt
Dabei kann man immer wieder die Frage stellen, über wen man denn eigentlich spricht, wenn man solche Beobachtungen anstellt. Wie die äußerst überraschende Welle der Demonstrationen gegen die AfD und andere Rechtsextreme seit Januar dieses Jahres zeigt, sind offenbar noch Millionen »ganz normaler« Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik in der Lage zu unterscheiden, bis wann die private Ruhe genügt und ab wann man auf die Straße gehen muss, um ganz praktisch für die Demokratie einzustehen. Natürlich finden das dann die politischen Akteure dufte, weil andere die Verantwortung zeigen, die sie selbst seit Jahren in Bezug auf die faschistischen Bestrebungen im Land vermissen lassen. Vielleicht spricht sich jetzt doch auch mal in der politischen Klasse herum, dass eine aufgeklärte und engagementbereite Mehrheitsbevölkerung die stärkste Ressource ist, auf die eine Demokratie bauen kann. Und vielleicht können auch wir, die sogenannten Deutungseliten aus Wissenschaft und Qualitätsmedien, mal wieder das Unterscheidungsvermögen trainieren, das man braucht, um intellektuell nicht in den eingeübten Schlaumeier-Routinen zu verwesen. Und selbst wieder den Mut zur Anstrengung fassen, von seinesgleichen doof gefunden zu werden. So verstehe ich Unfried, und wahrscheinlich hat er recht.
Wir haben uns das Weiterdenken abgewöhnt. Uns fehlen die Begriffe zur Beschreibung jener Verhältnisse, in denen unter Bedingungen der Folgen der Erderhitzung und des Artensterbens sich die sozialen Beziehungen so verschärfen, dass autoritäre und totalitäre Politikangebote mehrheitsfähig werden. Das war übrigens schon die Kernaussage der Grenzen des Wachstums – und so wenig sich die Wirtschaftswissenschaften um die Entwicklung einer Ökonomie der Endlichkeit bemüht haben, so wenig haben sich die Sozialwissenschaften um eine Gesellschaftstheorie der Endlichkeit gekümmert. Deshalb haben alle, die weiterdenken wollen, immer nur diese Post-Begriffe: postfossil, Postwachstum, postkolonialistisch, postkapitalistisch – nichts könnte die Theorielosigkeit der Gegenwart besser illustrieren als diese begrifflich gewordenen Hilflosigkeiten des Denkens.
Die entstehen dann, wenn man es vorzieht, in seinem Denken und Handeln genügsam zu sein – sich also nur so weit in Anspruch zu nehmen, wie es reicht, um bequem mit seinesgleichen durchzukommen. Aber hilft ja nix: In dieser Genügsamkeit wird die Welt nur verschieden interpretiert, und das meistens auch noch ziemlich schlecht. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.
Harald Welzer ist Herausgeber von taz FUTURZWEI.
Dieser Beitrag ist in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°28 erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt es jetzt im taz Shop.