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Krimi mit GebrauchsanweisungRitt durch die Jahrzehnte

Christopher Ecker hat mit "Fahlmann" einen 1.000-Seiten-Roman vorgelegt. Bei der Orientierung hilft ein Begleitband.

Eine Kleinstadt, wie sie Ecker gefällt: Kiel bereitet ein Event vor. Bild: dpa

KIEL taz | Christopher Ecker schaut aufs Wasser, er dreht sich um, er blickt auf den backsteinfarbenen Bahnhof, dann atmet er tief ein und aus: „Kleinstädte haben mir schon immer gefallen.“

Seit gut fünf Jahren lebt Ecker jetzt in Kiel, wohnt zentrumsnah, in 20 Minuten kann er alles bequem zu Fuß erreichen, was ihm wichtig ist. Die Förde etwa, wo die Fähren auf die Weiterfahrt nach Finnland, Norwegen oder Schweden warten und wo man in den Straßencafés einen weiten Blick hat. Für den Preis von zwei Kaffees kriegt man in Hamburg nicht mal einen. So gut hat man es in der Provinz.

Christopher Ecker kommt ursprünglich aus Saarbrücken. Das ist auch keine Weltstadt. Aber sein Roman ist eine Welt! 1,4 Kilo bringt er auf die Küchenwaage. Was am soliden Umschlag und mehr noch an den am Ende 1.025 Seiten liegt.

„Fahlmann“ heißt der Roman kurz und knapp, ein kleiner, lila schillernder Käfer ziert das Cover und darunter folgt das Wort ,roman‘, also kleingeschrieben. Was für eine Untertreibung! Oder auch: Was für ein Scherz!

Erzählt wird von Georg Fahlmann, einem jungen Mann, der vergleichsweise leidenschaftslos im Bestattungsgeschäft seines Onkels jobbt, denn eigentlich ist er Schriftsteller, aber noch unentdeckt. Das Werk, an dem Fahlmann arbeitet und das den zweiten, parallelen Teil von „Fahlmann“ bietet, ist ein historischer Krimi:

Den Insektenforscher Carl Richard Bahlow führt es ins Deutsch-Ostafrika des Jahres 1910, wo er herausfinden soll, wo ein Missionar abgeblieben ist. Saurierknochen werden ausgegraben, nach einer unterirdischen Stadt wird geforscht; Paris spielt eine wichtige Rolle, Carl von Linné tritt auf, vom universitären Leben in den 90ern des letzten Jahrhunderts wird erzählt, eine Hausarbeit über Thomas Mann will nicht gelingen.

Tote müssen beerdigt, Seitensprünge gemeistert und Malariaschübe ertragen werden. Und je weiter der Leser in dieses Romanwerk eintaucht, desto mehr Fragen stellen sich: Wer spricht mit wem? Wer schreibt eigentlich was? Dazu wimmelt es von Zitaten, von Rück- und Querverweisen; von Sprüngen durch die Zeit und durch die Welt und alles ist dabei auch noch hochkomisch erzählt, hat nichts zu tun mit den spröden Erzählkonzepten einstiger postmoderner Hochgeister.

Wie man das Buch lesen soll? „Na, von vorne bis hinten“, lacht Ecker und sagt dann schon wieder ernst: „In meinem Bekanntenkreis gab es beide Vorgehensweisen: Die einen haben es tatsächlich in einem Rutsch gelesen; die anderen haben zwischendurch immer mal wieder Pause gemacht und ein anderes Buch dazwischen geschoben.“

Er selbst lernt gerade seinerseits das Lesen dicker Bücher kennen: Sein Verlag, der Mitteldeutsche Verlag im anhaltinischen Halle und auch die Presse (überschwängliches Lob aller Orten) haben sein Werk mal eben mit den jüngsten Romanen von Thomas Pynchon, von David Foster Wallace, von Roberto Belaño verglichen – die liest er jetzt nach und nach.

Wem jetzt angesichts der Buchumfänge schwummrig wird, der kann in Punkto „Fahlmann“ langsam anfangen: Unter dem Titel „Liebeserklärung an eine Zielscheibe“ ist ein schmaler Begleitband erschienen, der für erste Orientierung durch das Romanwerk sorgt und der auch später wie eine Art Stadtplan hilfreich sein wird – zehn Seiten umfasst allein das kommentierte Personenverzeichnis.

Wie schreibt man so ein Buch? „Ich habe ein Jahr lang recherchiert und dann fünf Jahre geschrieben“, sagt Ecker. Praktisch muss man sich das so vorstellen: „Ich habe mich Montag hingesetzt, zwei Stunden später stand das Konzept und dann habe ich jeden Tag geschrieben und überarbeitet und überarbeitet, bis es ein dichter Text geworden ist.“ Sieben, acht Seiten kamen so pro Woche zusammen.

Christopher Ecker, Jahrgang 1967, studierte in Saarbrücken zunächst Germanistik und Philosophie, schloss mit dem Magister ab, arbeitete danach als Journalist. 2006 bekam er in Kiel die Möglichkeit, innerhalb von einem Jahr das Staatsexamen für den Schulunterricht zu machen, er konnte direkt ins Referendariat einsteigen: „Die Leute in Kiel waren mir sehr wohl gewogen, auch weil ich mit Philosophie ein so genanntes Mangelfach vorweisen konnte. In Saarbrücken hätte ich noch vier Jahre nachstudieren müssen.“

Dabei ist er alles andere als ein tief enttäuschter Lehrer, der sich nach dem Feierabend und den Ferien sehnt, weil dann das eigentliche Leben beginnt. Im Gegenteil: „Ich bin sehr gerne Lehrer. Ich habe eine dreiviertel Stelle an einem Gymnasium in Kiel-Heikendorf, und das lässt sich gut mit meinen Interessen als Autor verbinden. Auch weil ich das große Glück habe, dass ich Fächer unterrichte, die mich selbst interessieren.“ Außerdem hat Ecker eine Schreib-AG mit Schülern, die er betreut – was will der Dichter mehr.

Bei Fahlmann hat das nicht so gut geklappt. Fahlmann sitzt des Nachts immer häufiger in seiner Stammkneipe, sein Leben kommt immer mehr ins Rutschen, so wie auch Bahlows Expedition und die Suche nach dem verschwundenen Missionar sich immer mehr in einen Wachtraum zu wandeln scheint.

Als der Roman im vergangenen Frühjahr herauskam, hatte Ecker durchaus Bedenken, dass der Verlag sein Wagnis bereuen würde. Aber die Verkaufszahlen sind derzeit so, dass schon mal die Produktionskosten eingefahren werden konnten. Nun könnte es weiter aufwärts gehen.

Andererseits ist er längst mit neuen Projekten beschäftigt: „Der Bahnhof von Plön“ heißt das aktuelle Romanprojekt, das nach New York, Paris und nach Kiel führt. Abgeschlossen ist dagegen ein Kinderbuch, in dem es ganz profan um Tiere, Piraten und Gespenster geht und das im nächsten Jahr im Hildesheimer Gerstenberg Verlag erscheinen wird.

Fertig ist auch ein Roman, der in die Bretagne zur Zeit der deutschen Besatzung zurück geht. Erschienen ist unlängst auch ein erster Gedichtband im Kieler Antje Sommerfeld Verlag: „die montage der dienstage“.

So ist alles im grünen Bereich, und Christopher Ecker nimmt in aller Ruhe einen Schluck von seinem Espresso. „Ich sitze gerne in der Provinz“, sagt er. Nur manchmal ist es ein wenig einsam: „Es gibt hier keine funktionierende literarische Gemeinschaft. Es gibt hier keinen Andockpunkt.“

Immerhin kennt er den Kieler Schriftsteller und Zeichner Arne Rautenberg seit frühen Jugendtagen und im Kieler Literaturhaus hat man ihm nach der Lesung aus „Fahlmann“ sogleich signalisiert, ihn mit dem nächsten Werk wieder einzuladen. Und so wird er sich auch heute wieder seiner schreiberischen Welt widmen: „Abends, wenn alles erledigt ist, so ein, zwei Stunden. Ganz gemütlich.“

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