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Krieg gegen die Ukraine Was macht der Westen?

Nach zwei Jahren Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg sind die Perspektiven für die Menschen in der Ukraine schlecht. Eine Bestandsaufnahme von Udo Knapp.

Wie weit werden die von Scholz gegebenen Sicherheitsgarantien reichen? Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

taz FUTURZWEI | Am 24. Februar 2022 sind russische Truppen in die Ukraine einmarschiert. Seither sind in der Ukraine etwa 10.000 Zivilisten zu Tode gekommen. Insgesamt sollen bisher etwa 500.000 Soldaten umgekommen sein. Davon weit über 300.000 Russen. In Europa sind 5,98 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine offiziell registriert.

Russland bombardiert seit dem Beginn des Krieges täglich Wohngebiete, zivile und militärische Infrastrukturen in den Städten und überall im Land. Die russischen Truppen haben bisher mit sinnloser Totalzerstörung etwa ein Drittel der Ukraine im Osten des Landes erobert. Sie haben tausende ukrainische Kinder nach Russland entführt, haben versucht mit Terror gegen die Zivilbevölkerung, vor allem gegenüber ukrainischen Frauen, eigene Herrschaftsstrukturen in den besetzten Gebieten aufzubauen. Alle Versuche der ukrainischen Armee diese Gebiete zurück zu erobern, sind gescheitert. Lediglich der weitere Vormarsch der russischen Truppen konnte bisher aufgehalten werden.

Putin baut seine Diktatur weiter aus

In Russland selbst ist die Ausrichtung aller wirtschaftlichen Aktivitäten auf den Krieg mit der Ukraine gelungen. Westliche Sanktionen sind wirkungslos geblieben. China, Nordkorea und Iran ersetzen die zerstörten Waffen der Russen. Es gibt es keinerlei politische Kraft, die Putins Herrschaft ernsthaft gefährden könnte. Jede Opposition wird mit Terrorurteilen und mörderischer Lagerhaft unterdrückt. Auch das massenhafte Auswandern großer Teile der jungen, intellektuellen und wirtschaftlichen Eliten zeigt bisher kaum Wirkung. Im Gegenteil: Putin baut seine Diktatur weiter aus. An seiner Wiederwahl bei den Wahlen im März mit dann wahrscheinlich 90 Prozent Zustimmung gibt es keinen Zweifel.

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In der Ukraine selbst ist der Verteidigungswillen gegen die russischen Invasoren ungebrochen, trotz der bitteren Aussicht, dass der Krieg noch sehr lang weiter gehen wird. Die Ukraine hält an ihrem Kriegsziel weiter fest: der Rückeroberung seines gesamten Staatsgebietes, inklusive der Krim, sowie der Öffnung des Landes nach Westen mit einem Beitritt zu EU und zur NATO. Aber ohne die Belieferung der ukrainischen Armee mit Waffen aus dem Westen gibt es für die Ukraine keine Chance, diese Kriegsziele zu erreichen. Die bisherigen Kosten für diese Belieferung mit Waffen belaufen sich mittlerweile auf etwa 150 Milliarden Dollar. Der Großteil davon, bis zu 85 Milliarden, kommen aus den USA. Dazu addieren sich noch einmal weit über 100 Milliarden Dollar, mit denen der ukrainische Staat und seine Institutionen funktionsfähig erhalten werden.1

Krieg als Instrument weltweiter Machtansprüche

Der Westen hat sich zu Beginn des Krieges dafür entschieden, nicht mit eigenen Truppen an der Seite der Ukraine zu intervenieren. Angst vor dem russischen Einsatz von Atomwaffen und die nicht auszuschließende Ausweitung des Krieges zu einem Weltkrieg waren entscheidungsleitend. Die Ukraine ist zwar ausgerüstet mit westlichen Waffen, muss sich damit aber allein von den Invasoren befreien.

Im Laufe des Krieges konnte aber nicht mehr verdrängt werden, dass Putins Kriegsziele auch gegen den Westen insgesamt ausgerichtet sind und besonders gegen die osteuropäischen Nachbarn Russlands. Es ist Putin gelungen, Krieg als Instrument seine weltweiten Machtansprüche auf die politische Agenda zurückzuholen. Ob die NATO tatsächlich ihre Beistandspflichten gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages erfüllen würde, sollte Putin den Krieg über die Ukraine hinaus ausweiten, muss sich erst noch erweisen.

Die EU kann nicht mehr allein auf die USA setzen

Der Westen glaubt immer noch, er könne diese Herausforderung mit Waffenlieferungen zurückweisen. Die gerade mit der Ukraine abgeschlossenen, bilateralen Sicherheitsverträge mit Frankreich und der Bundesrepublik bekräftigen diese Linie.

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Es ist offen, wie lange und in welchem Umfang der Westen seine Waffenlieferungen fortsetzen wird. In den USA arbeiten die Republikaner mit Blick auf eine erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten daran, die Hilfen für die Ukraine auslaufen zu lassen. Aktuell geht es um 83 Milliarden Dollar für Munition und das Sicherstellen der Nutzung bereits gelieferter Waffensysteme. Angenommen, das Repräsentantenhaus würde nächste Woche bei seiner ablehnenden Haltung bleiben, dann müsste Europa diese immense Summe sofort ersetzen. Wie das gelingen soll, ist unklar.

Klar ist jetzt aber, dass Europa zur Sicherung seiner Interessen nicht mehr allein auf die USA setzen kann, sondern eigene Abschreckungskraft braucht. Außer großem Erschrecken und martialischen Sprüchen sind in dieser Hinsicht weder konkrete Ideen noch strategische Narrative erkennbar.

Folgen für die weltweite Sicherheitsarchitektur

Für die Menschen in der Ukraine sind das alles schlechte Botschaften. Wenn die Russen trotz allem durch immer mehr Waffen aus dem Westen von einer Zerstörung des ukrainischen Staats abgehalten werden können, dann wird es doch irgendwann den Zwang zu einem Frieden mit Gebietsverlusten und eingeschränkter Souveränität geben. Was dann, wie wir in Tschetschenien 1999 gesehen haben, nur einen zweiten Angriff Putins zur Folge haben könnte und die endgültige Eingliederung der Ukraine in Russland.

Entgegen aller anderslautenden Beschwörungen muss die Möglichkeit einkalkuliert werden, dass der Westen die Ukraine den Russen überlassen könnte. Welche Folgen das für den Selbstschutz der Demokratien und deren weltweite Sicherheitsarchitektur haben würde, ist heute nicht zu abzusehen.

Die in der Süddeutschen publizierte Idee des Politologen Ivan Krastev, ein etwaiges Fallenlassen der Ukraine dadurch abzumildern, dass die dann durch Gebietsverluste amputierte Restukraine in die NATO und die EU aufgenommen würde, könnte in den übrigen von Russland bedrohten Staaten zumindest als eingeschränktes Schutzversprechen vor den russischen Großmachtgelüsten wirken.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.