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Kreaturen, die die Welt nicht brauchtDer verkannte Tausendsassa

Die Biodiversität hat es wieder auf die Agenda der Politik geschafft. Aber muss wirklich jede Art überleben? Ach was, meint die taz. Aber wie steht es mit der Blaualge?

Doch nicht so schlimm wie gedacht: Blaualgen auf Hamburgs Außenalster Bild: dpa

BERLIN taz Achtung! Dieser Text ist nur aus Versehen in diese Serie gerutscht. Eigentlich gehört er in die Reihe "Lebewesen, die die Welt scheinbar nicht braucht, die uns aber bei der Recherche ganz schön ans Herz gewachsen sind". Denn es geht um die überaus nützliche und zugleich wundervoll schillernde, völlig verkannte Blaualge.

Den meisten dürfte sie nur aus den Badegewässer-Tests bekannt sein. Diese tauchen in jedem Sommer unweigerlich auf, wenn sich die Kleinstlebewesen explosionsartig vermehren und Seen und Teiche wie schmackhafte überdimensionale Nudelsuppen aussehen lassen. Das größte ökologische Problem dabei ist, dass die Reste nach der Algenblüte auf den Boden absinken, wo ihr Abbau Sauerstoff verbraucht, der dem Gewässer dann fehlt.

Nur: Der Hauptgrund für das Wachstum sind neben dem hellen Sonnenlicht Düngemittel aus der modernen Landwirtschaft. Und die haben sich bestimmt nicht die Blaualgen ausgedacht.

Warum dann aber diese Abneigung vor allem der Städter, sobald die ersten Fäden im Wasser auftauchen? Bloß weil es unter den vielen unterschiedlichen Arten auch einige gibt, die Allergene produzieren? Wegen der paar Quaddeln und doch eher seltenen Leber- oder Organschäden, die auftreten, wenn die Gifte über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen?

taz-Serie: Kreaturen, die die Welt nicht braucht

Dies sind nur die prominenten Beispiel: Jüngst wurde der Chinesische Flussdelfin für ausgestorben erklärt, im Jahr 2000 war es der Pyrenäen-Steinbock. Und 1980 hatte es den Java-Tiger erwischt. Fast unbemerkt werden in den nächsten 100 Jahren, so schätzen Wissenschaftler, 30 bis 50 Prozent aller Arten verschwinden. So ein Massensterben hat es seit dem Tod der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren nicht mehr gegeben. Dabei werden die meisten Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen ausgestorben sein, bevor der Mensch sie entdeckt hat: Denn bislang sind zwei Millionen Arten bekannt, 10 bis 30 Millionen soll es aber geben. Im Mai 2008 werden in Bonn 5.000 Politiker und Experten darüber streiten, wie seltene Pflanzen und Tieren weltweit geschützt werden können: Die Bundesregierung ist Gastgeber dieser UN-Biodiversitätskonferenz. Und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will schon bis September eine nationale Biodiversitätsstrategie entwickeln. Derzeit "löschen wir die Daten der Natur von der Festplatte", sagt er.Aber mal ehrlich: Auch wenn jede Kreatur eine Daseinsberechtigung hat, weil sie für reines Trinkwasser sorgt, Schädlinge frisst, den Boden lockert oder Arzneien liefern könnte - es gibt doch auch Arten, bei denen es uns schwer fällt, sie lieb zu haben und die gern verschwinden dürften, zumindest aus unserer Nähe. In einer politisch völlig unkorrekten Sommerserie "Kreaturen, die die Welt nicht braucht" machen taz-RedakteurInnen der Evolution schon mal ein paar Vorschläge. Vielleicht hat sie ja ein Einsehen.

Und mehr Böses lässt sich beim besten Willen nicht über die Blaualge sagen, die genau genommen ein Cyanobakterium ist. Denn im Gegensatz zu normalen Algen hat sie keinen Zellkern. Sie betreibt aber Photosynthese, produziert also Sauerstoff. Dabei nutzt sie nicht nur Chlorophyll wie grüne Pflanzen, sondern auch diverse Pigmente, weswegen die verschiedenen Cyanobakterien bläulich, rot, aber auch grün oder sogar schwarz gefärbt sind. Dadurch können sie Licht sehr effizient verwerten -und auch ausgesprochen düstere Orte wie tiefe Schichten in Seen oder die Unterseite von Flussgeröll besiedeln und hübsch bunt aussehen lassen.

Einige dieser Pigmente sind aber vor allem wegen ihrer kosmetischen oder pharmazeutischen Wirkung interessant. Beta-Carotin zum Beispiel ist ein wichtiges Hautschutz-Vitamin und hat eine antioxidative Wirkung, so dass es auch zur Krebsprävention eingesetzt wird. Die Blaualge Spirulina enthält zwanzigmal so viel Beta-Carotin wie Karotten. Und der blaue Pigmentfarbstoff Phycocyanin ist ein echter Entgifter und Radikalenfänger, der Leber und Nieren unterstützt. Darüber hinaus bilden Cyanobakterien auch noch das Enzym Photolyase, das DNA reparieren und so Hautschäden ausgleichen kann - das Pharmaunternehmen Stada wirbt sogar damit, seine Sonnencreme "Ladival" damit ausgestattet zu haben.

Aber nicht nur die Arzneimittel-, Health-food- und Kosmetikindustrie nutzt Cyanobakterien. Auch die wissenschaftliche UN-Sonderorganisation Unesco betreibt Forschungsprogramme. Denn last but not least gelten manche Blaualgenarten als wichtige Nahrungsressource. In vielen tropischen Regionen werden sie seit Jahrhunderten als Proteinquelle ausgebeutet. Und als Biomasse sind sie doppelt nützlich: Das Wachstum von einem Kilogramm Spirulina-Biomasse verbraucht 1,5 Kilogramm Kohlendioxid und produziert ein Kilogramm Sauerstoff.

Sorgen um den Fortbestand der Blaualge muss sich aber nicht nur deshalb niemand machen. Immerhin gibt es Cyanobakterien bereits seit 3,5 Milliarden Jahren. Da werden sie auch durch egozentrische Abwehrreflexe einiger Badefanatiker und Aquarienbesitzer nicht totzukriegen sein.

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