Kraftwerk ohne Abgase: Die Rettung der Welt
Vattenfall startet ein Kraftwerk, das sich durch eines auszeichnet: Es soll klimaschonend sein und kein Kohlendioxid mehr in die Luft blasen.
Glaubt man Vattenfall, beginnt am Dienstag ein neues Zeitalter. In Schwarze Pumpe nahe Cottbus wird Deutschlands drittgrößter Energiekonzern das weltweit erste Kraftwerk ans Netz schalten, dass zwar Kohle verbrennt, aber kein Kohlendioxid mehr ausstößt. "Carbon capture and storage" - kurz CCS - nennt sich die neue Technologie, bei der das Klimagift aus den Kraftwerksabgasen abgeschieden wird, um es danach zu verflüssigen und unterirdisch lagern zu können.
Die Erwartungen an diese Technologie sind riesig: Vattenfall verspricht sich davon nichts Geringeres als die Rettung der Menschheit. "Die Welt hat ein Klimaproblem, und als Braunkohleverstromer ist Vattenfall ein Teil des Problems." Diese Aussage stammt nicht etwa von Greenpeace, sondern von Vattenfalls Chef Tuomo Hatakka: Der Konzern müsse für den Klimaschutz seinen Kohlendioxidausstoß bis 2030 halbieren. Hatakka: "Das geht nur durch CCS."
Tatsächlich ist ein spannender Wettlauf um die Technologie entbrannt. Vattenfall will "Weltmarktführer" werden und hat bereits 1 Milliarde Euro für die nächste Ausbaustufe bereitgestellt: Ab 2014 soll in Jänschwalde ein 500-Megawatt-Kraftwerk mit dem sogenannten Oxyfuel-Verfahren gebaut werden. Konkurrent RWE hat gerade bekannt gegeben, in Hürth bei Köln ein 450 Megawatt-CCS-Kraftwerk bis 2014 bauen zu wollen - allerdings mit einer anderen Technologie. Hinter dem Wettlauf lockt ein gigantischer Markt: Um den rasant wachsenden Energiebedarf zu decken, geht etwa in China jeden sechsten Tag ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Und angesichts des politischen Drucks zu mehr Klimaschutz werden die Energiekonzerne eines Tages nur noch Kraftwerke genehmigt bekommen, die das Kohlendioxid aus den Abgasen abtrennen.
Allerdings ist mit der Abscheidung des Klimagiftes nur der eine Teil der Übung absolviert. Der andere, die unterirdische Lagerung, wird derzeit in Ketzin bei Potsdam untersucht. Ein Team um Frank Schilling, Professor am Geoforschungszentrum Potsdam, erforscht mit 20 Millionen Euro, wie sich Kohlendioxid im Endlager verhält. "Die Leute werden die unterirdische Lagerung nur akzeptieren, wenn wir nachweisen, dass davon keine Gefahren ausgehen", sagt Schilling. In Ketzin hat sein Team einen "salinen Aquifer" angebohrt, eine 650 Meter tiefe, poröse Sandsteinformation, in die die Forscher 60.000 Tonnen Kohlendioxid pumpen. Und obwohl die Versuche in Ketzin längst nicht abgeschlossen sind, legt sich Schilling bereits fest: "Aus wissenschaftlicher Sicht spricht nichts gegen eine unterirdische Lagerung - hier in Ketzin."
Allerdings beginnt damit ein Teil des Problems: Schillings Team arbeitet mit lebensmittelreinem Kohlendioxid, die CCS-Kraftwerke produzieren dagegen ein nur 80- bis 90-prozentiges. Wie aber reagieren die 10 bis 20 Prozent Verunreinigungen im Boden? Verwandeln sie das Trägergestein? "Die Reinheit muss zum Reservoir passen", sagt Schillig. "Jede einzelne Lagerstätte muss untersucht werden."
Vattenfall will sein CCS-Abgas in der Altmark in ausgegasten Erdgaslagerstätten verpressen, RWE eine Rohrleitung nach Schleswig-Holstein bauen. Noch in diesem Jahr will die EU eine CCS-Richtlinie veröffentlichen, die dann etwa Grundlage für die Genehmigungsverfahren potenzieller Endlager werden soll. Experten schätzen, dass es in Deutschland Endlagerkapazitäten für etwa 30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid gibt, Platz für 100 Jahre Kohlendioxid aus den deutschen Kraftwerken.
Zweites Problem: CCS vermindert den Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken. Greenpeace spricht von 10 bis 40 Prozent; Schilling geht von 8 bis 12 Prozent aus: "Das bedeutet: Um die gleiche Menge Strom am Ende herauszubekommen, müssen CCS-Kraftwerke 20 Prozent mehr Kohle verfeuern." Was sich auf die Wirtschaftlichkeit auswirkt: CCS-Strom ist teurer, weshalb Kritiker der Technologie glauben, dass sie sich nie durchsetzen wird. Zudem: Nicht einmal Vattenfall glaubt, dass sein Verfahren vor 2020 großtechnisch einsatzbereit ist. Derzeit werden aber in Deutschland 25 neue Kohlekraftwerke gebaut oder geplant, die nicht nachrüstbar sein werden. Deshalb kritisieren Klimaschützer: Wäre der Konzern von seiner Idee überzeugt, würde er noch zehn Jahre mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke warten. Sie demonstrieren heute in Schwarze Pumpe - gegen das "Feigenblatt CCS".
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