Kosovo: Querschüsse der Schutzherren
Eine neue Verhandlungsrunde über die Zukunft des Kosovo hat begonnen. Jetzt stehen neben der Unabhängigkeit auch eine Teilung oder ein Staatenbund zur Diskussion
Sie rutscht auf ihrem Stuhl unruhig hin und her. Die 60-jährige Larjia Domi, Bibliothekarin an der Universität in Priðtina, ist unsicher geworden. Und stellt sich die Fragen, die alle Menschen jetzt im Kosovo bewegt: "Was wird werden, wie soll es weiter gehen?" Nach dem Veto Russlands im Weltsicherheitsrat gegen den Ahtisaari-Plan der UN, der eine begrenzte Unabhängigkeit des Kosovos unter europäischer Aufsicht vorsah, scheint jetzt die Zukunft wieder wie vernagelt.
Die Kosovo-Troika hat die Verhandlungen über den künftigen Status der Provinz aufgenommen. Im Folgenden eine Aufstellung der Optionen:
- Serbien will einen Rechtsanspruch auf das Gebiet behalten - Möglichkeiten wie eine Konföderation unabhängiger Staaten fallen damit weg. Die Regierung in Belgrad ist lediglich bereit, dem Kosovo eine weitgehende Autonomie zu geben.
-- Die Kosovo-Albaner wollen sich notfalls einseitig für unabhängig erklären und sich dabei an den Plan von UN-Chefunterhändler Martti Ahtisaari halten, der eine von der EU überwachte Souveränität vorsieht.
- Als dritte Option kam zuletzt eine Aufteilung der Provinz ins Spiel, wenngleich dies offiziell als Tabu gilt. Der serbisch besiedelte Norden könnte sich so vom albanischen Süden trennen und sich Serbien anschließen.
Acht lange Jahre sind seit dem Einmarsch der Nato 1999 vergangen. Zwar wurden viele Häuser mit internationaler Hilfe im ganzen Land wieder aufgebaut und neue sind entstanden, von den Kriegsschäden ist nur noch wenig zu sehen. Um die rasch wachsende Hauptstadt Priðtina herum sind sogar neue Einkaufszentren aus dem Boden gestampft worden.
"Doch niemand will in die Produktion investieren, solange der Status des Landes nicht geklärt ist", pflichtet ihr Mann Hajdar ihr bei, ein ehemaliger Bankdirektor und Ökonom. Selbst Auslandsalbaner investierten in der sicheren Türkei. Mehr als die Hälfte aller Bewohner sei arbeitslos. "Es ist aber nicht nur die wirtschaftliche Lage, die uns jetzt bewegt." Die Zeit der serbischen Herrschaft im Kosovo habe überall ihre Zeichen hinterlassen, auch in den Seelen.
Ferdeze Efendia und ihre beiden Mitstreiterinnen gehören zu den Frauen, die seit dem Krieg im Kosovo den Spuren der Verbrechen folgen, versuchen, die Wahrheit herauszufinden, die Dokumente sammeln, Opferfamilien betreuen. Sie haben selbst Söhne und Männer verloren. An den Wänden des Zentrums "Schrei der Mutter" in der Stadt Gjakove (serbisch Djakova) im Westkosovo, der Heimatstadt der Domis, hängen die Bilder von verschwundenen Männern, die von serbischen Militärs, Polizisten oder Paramilitärs in ihren Häusern verhaftet, verschleppt und ermordet worden sind.
Schon 1998, ein Jahr vor dem Angriff der Nato, bauten die serbischen Militärs auf dem an die Stadt grenzenden Hügel Xabrat einen Stützpunkt und beherrschten mit ihrer Artillerie und den Maschinengewehren die traditionsreiche, multireligiös ausgerichtete Stadt mit ihrem katholischen Dom, mit der mehr als 400 Jahre alten Moschee Xamia e Hadumit und der orthodoxen Kirche. Von dort kündigte der serbische Rechtsextremist und Milizenführer Vojislav Ðeðelj kurz vor dem Nato-Angriff auf Serbien im März 1999 über einen Lautsprecher an, was dann später geschehen sollte: Die Stadt würde dem Erdboden gleichgemacht. Am 7. Mai 1999 und den folgenden Tagen war es so weit. Die serbischen Militärs drangen in die Häuser ein, verhafteten alle albanischen Männer, derer sie habhaft werden konnten. Hunderte wurden an Ort und Stelle erschossen, hunderte abgeführt, in das Gefängnis nach Peje (Pec) gebracht, von dort aus nach Serbien verschleppt. Am 24. Mai wurde die historische Altstadt abgefackelt, auch die Bibliotheken der Moschee und jene der hier ansässigen Baktaschi-Sekte mit ihren jeweils rund 1.500 teilweise 500 Jahre alten Folianten gingen in Flammen auf. Die Frauen erzählen dies alles mit ruhiger und gefasster Stimme. Von 2001 an fand man in den Massengräbern Batajnica, Petrovo Selo und Perucac bei Belgrad 835 Überreste von Leichen, 730 konnten durch DNA-Analysen der International Commission on Missing Persons identifiziert werden. Aus Gjakove stammten 677, sagen die Frauen. Nur 145 Männer überlebten die Haft in Serbien, sie wurden nach 24 Monaten freigelassen.
"Niemand ist bisher wegen dieser Verbrechen angeklagt worden." Die Frauen sind verbittert. Auch nicht Momcilo Stanojevic, der ehemalige serbische Bürgermeister, der wie viele einheimische Serben die Untaten der Militärs aktiv unterstützt haben soll. Das UN-Tribunal in Den Haag habe sich bisher nicht interessiert gezeigt.
Nach dem Einmarsch der Nato im Juli 1999 und der Errichtung einer UN-Mission fühlten sich die Albaner zunächst befreit vom Albtraum und vom Terror. Ein Zusammenleben mit Serben in Städten wie Gjakove, wo so viel Grauenhaftes passiert ist, gibt es allerdings nicht mehr. Die meisten Serben der Stadt sind nach dem Krieg geflohen. Die noch im Kosovo befindlichen ungefähr 100.000 Serben leben in ihren 13 schon vor dem Krieg mehrheitlich von Serben bewohnten Enklaven, bewacht von Soldaten der KFOR-Truppen. Oder im Norden, in der Region Mitrovica, die an Serbien grenzt.
"Der Ahtisaari-Plan bot die Chance für ein geordnetes Nebeneinander." Alex Ivanko, seit einem Jahr Chef des Informationssektors und früherer Sprecher der Organisation, ist ein alter Balkanhase. Der ehemalige Journalist und russische Afghanistanveteran war schon im Kroatienkrieg Sprecher der UN, er war in Bosnien und seit dem Aufbau der UN-Mission lange Jahre im Kosovo. Der knapp Fünfzigjährige kennt Land und Leute wie seine Westentasche.
UN schult weiter
Auch Ivanko ist wie viele der Mitarbeiter der UN vor Ort etwas ratlos. Jahrelang hatte die Unmik nach praktikablen Kompromissen zwischen Serben und Albanern gesucht, schließlich verhandelte der Finne Ahtisaari für die UN. "Wir schulen trotz allem die bisherige einheimische Administration und bereiten den Übergang zur Unabhängigkeit vor. Es müssen ja dann viele Gesetze auf der Grundlage des Ahtisaari-Plans geändert werden."
Doch ob das noch sinnvoll ist, weiß niemand mehr. Die UN-Mission baut sich selbst schon ab und verkauft ihre Geländewagen. Dabei war alles so schön ausgedacht. Die UN sollte in diesem Sommer von einer EU-Administration abgelöst werden. Und die sollte die Umsetzung des UN-Plans überwachen, die Minderheitenrechte sichern, dem Land helfen, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen.
Was jetzt kommt, steht in den Sternen. Der neu geformten Troika aus Europa, den USA und Russland, die an diesem Wochenende ihre Verhandlungen mit Serben und Albanern aufgenommen hat, werden bei anderen hohen UN-Funktionären kaum Chancen für eine diplomatische Lösung eingeräumt. Am besten wäre es nach deren Meinung, nach den jetzt für die Verhandlungen anberaumten 120 Tagen, die Kosovoregierung zu ermuntern, die Unabhängigkeit selbst auszurufen und ihr nahe zu legen, den Serben den UN-Plan weiterhin anzubieten. Doch ob so ein Manöver gelingt, dafür will inzwischen niemand mehr bürgen.
Schon gar nicht öffentlich. Denn es gibt einige Querschüsse, nicht nur durch Russland und Serbien, die weitere Unsicherheit erzeugen. Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Javier Solana, Schwedens Premierminister Carl Bildt und der französische Außenminister Bernard Kouchner und noch einige andere Politiker der EU sollen nach hohen diplomatischen Quellen vor zwei Wochen geheim zusammengesessen sein und über eine Föderation Serbien-Kosovo nachgedacht haben. Und kaum kam die Troika nach Priðtina, erklärte der Vertreter der EU, Wolfgang Ischinger, das Kosovo könnte zwischen Serben und Albanern territorial aufgeteilt werden, wenn beide Parteien zustimmten.
Trotz des gleich darauf erfolgten Dementis in beiden Fällen zeigt der Vorgang, welche Fallstricke die diplomatische Welt bereithält. In der albanischen Öffentlichkeit hat das alles heftige Diskussionen ausgelöst. Schon bei der Einfahrt in die östlich von Priðtina nahe der serbischen Grenze gelegene, 80.000 Einwohner zählende Stadt Podujevo spürt man die steigende Spannung. Hier ist die Arbeitslosigkeit extrem hoch und soll bei 60 Prozent liegen. Aber niemand weiß das so genau. Wer Arbeit hat, schuftet zwölf Stunden für einen Hungerlohn von weniger als 10 Euro. Einige Gastarbeiter und ehemalige Flüchtlinge verleben ihre Ferien hier. "Viele Verwandte und Nachbarn hungern regelrecht", berichtet Fadil Blakcori, der in Berlin-Neukölln eine Kneipe betreibt. "Ich versuche zu helfen, wo es geht, doch meine Mittel sind begrenzt." Und ein Nachbar unterstützt ihn: "Wenn uns die Welt noch weiter hinhält und uns nicht endlich einen Status verschafft, mit dem die Wirtschaft sich entwickeln kann, gibt es einen Aufstand."
Der Nachbar meint es ernst. So wie auch die ehemaligen Kämpfer der Kosova-Befreiungsorganisation UÇK. Sie drucksen zwar herum. Verweisen auf das Wort der Amerikaner. Präsident Bush habe nach dem G-8-Gipfel in Deutschland in Tirana die Unabhängigkeit des Kosovos in diesem Jahr versprochen. Doch sollte es im Dezember keine Unabhängigkeit des Kosovos geben, fiele ihnen schon etwas ein. Die Albaner könnten dann auch in den Nachbarländern aktiv werden, drohen sie.
Im südserbischen und mehrheitlich von Albanern bewohnten Bujanovac kam es schon vor zehn Tagen zu ersten Schießereien zwischen serbischer Polizei und einer Gruppe von Bewaffneten. Und in Mazedonien ist ein Viertel der Bevölkerung albanisch. "Sollte weiter über die Teilung des Kosovos spekuliert werden, sollte die gesamte internationale Gemeinschaft ihre Koffer packen", erregt sich Enver Hoxhaj, Mitglied des kosovo-albanischen Verhandlungsteams. "Das bedeutete eine völlige Umkehr der internationalen Politik." Dann würden neue Grenzen auf dem Balkan entlang ethnischer Linien gezogen mit unabsehbaren Folgen für Serbien, Mazedonien, Bosnien und andere Länder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland