Kosovo - und jetzt?: Vorbild für Zypern, nicht für Kurden
Die Türkei gratulierte dem Kosovo als einer der ersten Staaten zur Unabhängigkeitserklärung. Erdogan sieht darin ein Vorbild für Zypern, aber nicht für die Kurden.
ISTANBUL taz Als einer der ersten Staaten weltweit hat noch am Montag die Türkei das Kosovo völkerrechtlich anerkannt. Ministerpräsident Tayyip Erdogan rief seinen Kollegen Hashim Thaçi persönlich an und gratulierte ihm zur Unabhängigkeitserklärung. Diese Entscheidung hat sowohl historische wie auch aktuelle Gründe. Historisch zählen die muslimischen Kosovaren genauso wie die Bosniaken zur Hinterlassenschaft des Osmanischen Reiches und sind deshalb auch der heutigen Türkei eng verbunden. Viele ältere Menschen in Priðtina sprechen Türkisch und während der serbischen Angriffe auf die Kosovaren in den 90er-Jahren flüchteten viele von ihnen nach Istanbul. Die Türkei unterstützt mit der Anerkennung also ihre Klientel auf dem Balkan und sichert sich so auch einen steigenden Einfluss in der Region.
Aus den genau gleichen Gründen ist das orthodoxe Griechenland gegen einen unabhängigen Staat Kosovo. Traditionell ist man den orthodoxen serbischen Glaubensbrüdern verbunden, historisch konkurrieren die Türkei und Griechenland, seitdem die Griechen 1830 ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erkämpften, auf dem Balkan um Einfluss.
Brisanter ist jedoch die aktuelle Dimension der Auseinandersetzung. Griechenland und mehr noch die griechischen Zyprioten fürchten, dass die Unabhängigkeit des Kosovo zum Vorbild für das türkische Nordzypern werden könnte. Die türkischen Zyprioten haben zwar bereits 1983 einseitig ihre Unabhängigkeit vom griechisch-zypriotischen Staat erklärt, doch anders als nun beim Kosovo hat der UN-Sicherheitsrat damals die Unabhängigkeitserklärung für nichtig erklärt und die türkischen Zyprioten wurden deshalb außer von der Türkei von keinem weiteren Land anerkannt. Das, so hofft man in Ankara und fürchtet man gleichzeitig in Nikosia und Athen, könnte sich nun ändern.
Doch die griechischen Zyprioten haben gerade noch rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt. Zeitgleich mit der Unabhängigkeitserklärung in Kosovo wählten sie am Sonntag ihren bisherigen Präsidenten Tassos Papadopoulos, einen erklärten Gegner von Verhandlungen mit Nordzypern, ab und werden am kommenden Sonntag einen neuen Präsidenten wählen, der die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Insel wieder in Gang bringen will.
Was man in der Türkei zurzeit vergisst, ist, dass die mögliche Gründung neuer Staaten nicht auf Zypern enden wird. Sollten die türkischen Zyprioten tatsächlich ihren eigenen Staat durchsetzen können, werden sich als Nächs- tes die Kurden im Nordirak darauf berufen und die völkerrechtliche Anerkennung eines kurdischen Staates fordern. Dann wird man die völkerrechtliche Situation in Ankara wieder ganz anders sehen.
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