Korruptionsskandal im türkischen Fußball: "Uns kriegt niemand klein"
Die Fenerbahce-Fans sehen ihren Klub zunehmend in der Opferrolle. Staatspräsident Erdogan, bekennender Fener-Fan, inszeniert sich in dem Skandal als Saubermann.
"Was auch passiert, wir stehen wie ein Mann hinter dir!", heißt es in Sprechchören und auf Plakaten in der beachtlichen Menschenmenge, die immer wieder vor dem Metris-Staatsgefängnis in Istanbul protestiert.
Auf einem Banner wird gedichtet: "Wenn unsere Köpfe schon in den Schlingen wären und wir würden nach unseren letzten Worten gefragt - es wäre nur ,Fenerbahce'."
Der mit so viel Herzblut Unterstützte ist Aziz Yildirim, Präsident des aktuellen türkischen Meisters. Der 58-Jährige steht im Mittelpunkt des Manipulationsskandals, der die "Süper Lig" in diesen Tagen in Atem hält und auch andere Vereine betrifft: Vizemeister Trabzonspor, Pokalsieger Besiktas Istanbul, Eskisehirspor, Istanbul BB, Sivasspor und Ankaragücü. Erst vor wenigen Tagen hat der türkische Verband den Start der kommenden Spielzeit auf den 9. September verschoben. Die jüngst gewährte Einsicht in das Beweismaterial der Justiz soll die Urteilsfindung durch das Sportgericht vorantreiben.
Gekaufter Titel?
Yildirim, seit 1998 an der Spitze von Fenerbahce, soll seinem Verein durch Spielabsprachen und Bestechung zur 18. Meisterschaft in diesem Jahr verholfen haben. Seit dem 3. Juli sitzt der Bauunternehmer in Untersuchungshaft, unterbrochen von ein paar medienwirksamen Krankenhausaufenthalten zur Behandlung von Diabetes und Herzbeschwerden. Ausschlaggebend für seine Verhaftung war Kommissar Zufall: Im Zuge abgehörter Unterhaltungen von Mitgliedern der türkischen Mafia schnappten die Ermittler unabsichtlich auch ein Telefongespräch des Klubchefs auf.
Viele Fans der "Kanarienvögel" ergehen sich seitdem in abstrusen Verschwörungstheorien. Die Presse führe eine Kampagne, und überhaupt sei alles und jeder gegen den in den letzten Jahren erfolgreichsten Klub des Landes. Vergangenen Donnerstag entlud sich die Wut der "Fener"-Fans erneut: Das Testspiel ihres Lieblingsklubs gegen Schachtjor Donezk nutzen sich zu einem Platzsturm. Sie liefen nach einer knappen Stunde in Massen auf das Spielfeld im Sükrü-Saracoglu-Stadion und erzwangen den Abbruch der Partie. "Uns kriegt niemand klein", sangen die Anhänger. Sie rollten monströse Banner aus, trugen Masken mit dem Konterfei ihres Helden. Das alles geschah aus Solidarität mit Yildirim.
Kritiker des Präsidenten: "Rücktritt jetzt!"
Im Gegenzug haben Kritiker ihres inhaftierten Präsidenten eine Internetseite aufgebaut, die fordert: "Genug ist genug! Rücktritt jetzt!" Knapp 22.000 Mitstreiter haben sich online bereits registriert. In der medialen Öffentlichkeit indes ist keine Uneinigkeit im Urteil über die Enthüllungen ersichtlich: "Ich ziehe meinen Hut vor denen, die hier so großartig ermittelt haben", sagt TV-Experte und Kolumnist Erman Toroglu, früher selbst aktiver Spieler. "Ich bin seit 50 Jahren im Geschäft, und dies ist das erste Mal, dass so vehement aufgeräumt wird. Dieser Reinigungsprozess ist das Beste, was unserem Sport passieren kann." Auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich eingeschaltet: "Es liegt mir am Herzen, dass dieses Problem so schnell und vehement wie möglich gelöst wird."
Für Erdogan, den bekennenden "Fener"-Fan, ist es eine Möglichkeit, sich als Saubermann zu stilisieren: gradlinig, korrekt, transparent - gewissermaßen europäisch. Ohne die Zustimmung des Regierungschefs wäre es nicht zu den Verhaftungen gekommen, heißt es. Keine schützende Hand mehr, die über das ungezogene Kind Fußball gehalten wird. Erdogan liebt das große Wort, weiß populäre Sätze zu sprechen. "Wir sind noch lange nicht an der Wurzel des Skandals angekommen", befürchtet der 57-Jährige. "Ich hoffe nur, dass die Türkei durch diese Enthüllungen international keinen Schaden nimmt. Es ist ein Fleck auf unserer Weste, und es wird Jahre dauern, ihn zu entfernen. Es geht um unsere Glaubwürdigkeit, wir müssen zusammenhalten", sagt er.
Die meisten Fenerbahce-Fans sehen das ein bisschen anders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“