■ Korrespondieren Haiti und Bosnien? Der Nato-Angriff kam insbesondere auf US-amerikanischen Druck zustande: Wenigstens eine symbolische Geste
Vielleicht haben die kleinen Schritte der „internationalen Streitmacht“ in Haiti auch in bezug auf Sarajevo Mut gemacht. Wenn in dem Karabikstaat nach anfänglichem Zögern doch noch die Forderungen der UNO-Resolution erfüllt zu werden scheinen, so könnte der Angriff von Nato-Flugzeugen auf einen serbischen Panzer um Sarajevo den Beginn dafür signalisieren, endlich eine festere Haltung gegenüber den serbisch-nationalistischen Barbaren einzunehmen, die nun schon seit über zweieinhalb Jahren die Hauptstadt Bosniens belagern. Doch Skepsis ist angesagt, wenn in der Öffentlichkeit der nun schon 29 Monate dauernde Überlebenskampf von rund 400.000 Menschen, die drei Millionen Artilleriegranaten, die auf die Stadt geschossen wurden, die weit über 20.000 Toten, nur noch Achselzucken auslöst. Wie sollte ohne einen Schrei des Entsetzens die Politik zu einer schärferen Gangart gezwungen werden?
Hinzu kommt nach wie vor, daß sich die Vereinten Nationen im Falle Bosniens äußerst schwer tun. Denn zu widersprüchlich sind die Interessen, die sich in ihr in bezug auf Bosnien wiederfinden. Hatte der britische General und Oberkommandierende der UNO- Truppen, Michael Rose, noch vor Tagen den Einsatz von Nato-Flugzeugen gegenüber beiden Seiten — dem Aggressor und den Verteidigern — gefordert, ist es jetzt nur dem amerikanischen Einfluß zu verdanken, daß wenigstens eine symbolische Aktion gegenüber den Belagerern gestartet wurde. Immerhin ist dabei auch klargeworden, daß dieser Panzer und andere weitreichenden Angriffswaffen quasi unter den Augen der UNO in der 20-Kilometer-Verbotszone stationiert worden sind. Daß dies geschehen konnte, fällt unter die Verantwortung von General Michael Rose. Wie auch die Abschaltung der Strom-, Wasser- und Gasversorgung für die Menschen in der Stadt.
Daß diese Nadelstiche in Washington genau gesehen und beantwortet werden, deutet auf eine konsistent werdende Politik der Clinton-Administration. Je näher der Termin rückt, der für die Aufhebung des Waffenembargos gegenüber der bosnischen Armee gesetzt ist, desto klarer kristallisieren sich die politischen Gegensätze heraus. Die Drohungen Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands, ihre UNO- Truppen aus Bosnien zurückzuziehen, haben jedoch schon jetzt in Washington wie in Sarajevo an Schrecken verloren. Der amerikanischen Politik kommt es zwar nicht darauf an, in eine zweite Runde des Krieges zu schlittern. Doch sie zeigt an, daß es wirkungsvoll ist, Schritt für Schritt, trotz der Querschüsse der Verbündeten, vorzugehen. Bis zum 15. Oktober liegt es an dem serbischen Nationalistenführer Karadžič, mit seiner Unterschrift unter den Plan der Kontaktgruppe eine größere Konfrontation zu vermeiden. Wenn nicht, ist die Appeasementpolitik aus London, Paris, Brüssel und Moskau gescheitert. Und dann können auch die Lehren aus Haiti für Bosnien gezogen werden. Erich Rathfelder
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