Ins Identitätschaos stürzt sich das Publikum auf Kampnagel in dem begehbaren Hörspiel „die vertauschten Köpfe“ : Kopftransplantation auf Indisch
„Es waren einmal zwei Jünglinge, wenig verschieden an Jahren und Kastenzugehörigkeit, aber sehr ungleich an Verkörperung. Der jüngere hieß Nanda, der ältere Schridaman“. So lässt Thomas Mann ganz klassisch sein indisches Märchen Die vertauschten Köpfe, jetzt dargeboten als begehbares Hörspiel auf Kampnagel, beginnen. Und so führt auch der Erzähler Christof Michel in die Hörspielfassung von Simone Henneken und Alexandra Filip, alias Queen of Humbuk, ein. Es ist der Anfang eines Dramas, denn Sita (Sprecherin: Sylvie Nogler) liebt beide, ihren intelligenten, aber schmerbäuchigen Kaufmannsgatten Schridaman (Sprecher: Rafi Guessos) und den zwar einfältigen, dafür durchtrainierten Hirten Nanda (Sprecher: Carsten Heinrich). Beide Männer fahren auf Sitas Rundungen ab, sind aber gleichzeitig dick befreundet.
Bei Thomas Mann schlagen die liebestrunkenen Männer einander die Köpfe ab. Doch der Göttin Kali (Sprecherin: Lisa Lucassen) ist dieses Opfer zu billig. Sita darf die Häupter wieder auf die Körper setzen, doch in ihrer Aufregung vertauscht sie die Köpfe. So entstehen neue Mannsbilder: Der dicke Schridaman-Leib mit dem einfältigen Nanda-Kopf, und der Nanda-Luxusbody mit dem intelligenten Schridaman-Haupt. Alles in Butter, so könnte man meinen, als Sita mit dem Perfekten von dannen zieht.
Dennoch endet die Story im Desaster, weil „die Suche nach dem Ideal grundsätzlich scheitern muss“, so die Regisseurin Queen of Humbuk. Sie hat zusammen mit Simone Henneken Thomas Manns Märchen als begehbares Hörspiel inszeniert. Das Kampnagel-Publikum zieht in zwei Gruppen an drei Bühnen entlang. „Eine Gruppe symbolisiert Schridaman, die andere Nanda“, erklärt Simone Henneken. „Die Nandas und die Schridamans stehen jeweils so an einer Bühne, dass sie ihre Erzählstimme aus ihrer Richtung hören.“ So soll sich das Publikum mit den Protagonisten identifizieren und auch deren Identitätskrise am eigenen Leib spüren.
Die Frage „who is who“ deutet dabei auf den philosophischen Kern dieses Stücks. Wer ist Nanda? Der mit seinem Kopf oder der mit seinem Körper? Diese Problematik hat nicht nur Thomas Mann beschäftigt, als er die Novelle 1939 schrieb. War die Körper-Geist-Problematik zu Manns Zeiten noch ein abstraktes Problem, so nimmt sie heute Gestalt an, findet die Queen of Humbuk. „Die Schaffung des Traumkörpers ist heute ein großes Thema, ob das die Gentechnik oder die Schönheitchirurgie betrifft.“ Schon in den 1970er Jahren nahm der US-amerikanische Neurochirurg Robert J. White Kopftransplantationen an Rhesusaffen vor. White kann sich auch vorstellen, den Kopf des schwer kranken Astrophysikers Stephen Hawking auf einen gesunden Körper zu verpflanzen, um dem Genie ein längeres Leben zu schenken.
Falls die Kopftransplantation am Menschen tatsächlich durchführbar wird, ergeben sich weit reichende ethische Probleme. Beispielsweise anhand der Frage, wer in den zweifelhaften Genuss einer solchen Lebensverlängerung kommen sollte und wer nicht. Wer müsste sterben, um durch sein Opfer das Leben eines anderen zu verlängern?
So unheimlich wie dieses Szenario findet Simone Henneken auch Manns Erzählung, wobei sie das groteske Indien-Setting der Novelle noch verstärkt. Trickfilme begleiten das Publikum auf der Hör-Reise durchs Identitätschaos, visualisieren die Story als animierte Collage aus gezeichneten Comicfiguren und Realausschnitten aus Bollywood-Filmen. Eine absurde Szenerie also, mit der die Regisseurinnen nicht zuletzt „Thomas Mann von seinem gutbürgerlichen Stühlchen runterholen“ wollen, so Henneken.
KATRIN JÄGER
Premiere: 22.1., 20 Uhr, Kampnagel