Kopfpauschalen-Pläne der FDP: Auf Wiedersehen, Prestigeprojekt
Die Probleme von Gesundheitsminister Rösler wachsen. Nach der NRW-Wahl ist die Mehrheit im Bundesrat dahin, sein Projekt Kopfpauschale wohl auch.

BERLIN taz | Es war Dienstagmittag, als Philipp Rösler zu kämpfen begann. Vor dem Deutschen Ärztetag in Dresden verteidigte der FDP-Gesundheitsminister seine Kopfpauschale als "gerechteres System" und wandte sich an die vielen Kritiker seiner Reformpläne. "Unethisch ist es vor allem, Verschwendungen zuzulassen", sagte er.
Nur zwei Tage zuvor musste Rösler mit anschauen, wie die schwarz-gelbe Mehrheit in Nordrhein-Westfalen dahinging und damit auch die Möglichkeit, eine Gesundheitsreform problemlos durch den Bundesrat zu bekommen. Denn gegen kaum ein Projekt hat die Opposition so mobilgemacht wie gegen die von Rösler vertretene Kopfpauschale. Die Grünen und die Linkspartei schließen kategorisch aus, der Pauschale zuzustimmen, und die SPD hat sogar über 100.000 Unterschriften dagegen gesammelt.
An diesem Mittwoch trifft sich die Regierungskommission zur Gesundheitspolitik zum dritten Mal, um über die zukünftige Finanzierung des Gesundheitssektors zu beraten. Sieben MinisterInnen von Landwirtschaft bis Justiz sind neben Philipp Rösler dabei. Um die "große Lösung", eine vollständige Abkoppelung der Gesundheitsbeiträge von der Arbeit, geht es dabei längst nicht mehr. "Evolution statt Revolution ist die Maxime", sagt der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, im taz-Interview. Das heißt: Die Beiträge werden bestehen bleiben und höchstens geringfügig abgesenkt. Die Pauschale könnte zunächst bei rund 30 Euro liegen. Doch selbst diese "Mini-Pauschale" scheint durch die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nun Makulatur.
Die Opposition hat sich festgelegt: "Die können ihre Kopfpauschale beerdigen", sagt die Grünen-Gesundheitsexpertin Birgitt Bender der taz, "wir werden im Bundesrat ganz sicher nicht zustimmen - wir haben schon Zusatzbeiträge abgelehnt." Auch SPD-Parteichef Sigmar Gabriel erteilte, kaum war das NRW-Wahlergebnis bekannt, dem Projekt eine Absage. Davon scheinbar unberührt trat Gesundheitsminister Rösler beim Deutschen Ärztetag auf. "Eine gute Reform hat immer eine Chance im Bundesrat", sagte Rösler bei seiner Rede, auch seinen Willen zu einem Sozialausgleich bekräftigte der Minister.
Doch gerade dieser ist durch die neue Bundesratsmehrheit in Gefahr. Denn normalerweise würde ein solcher Sozialausgleich über die Finanzämter organisiert werden. In diesem Fall sind aber die Länder beteiligt, und eine Zustimmung des Bundesrats ist erforderlich.
Um diese Hürde zu umgehen, sucht die Bundesregierung nun nach Möglichkeiten, den Ausgleich ohne die Ämter zu organisieren - etwa über die bestehende Beitragsstruktur. Technisch ist das Verfahren komplex. Die Grünen-Politikerin Bender kommentiert, diese Pläne seien "auf der nach oben offenen Schwachsinnsskala hoch angesiedelt".
Wie wackelig das einstige Vorzeigeprojekt von FDP und einst auch von CDU mittlerweile ist, zeigt auch die Diskussion, die in der vorangegangenen Sitzung der Regierungskommission geführt wurde. Dort hatte der CDU-Politiker Andreas Storm angeregt, die rund 20 Millionen RentnerInnen von der Pauschale auszunehmen. Gerade RentnerInnen gelten als die potenziellen Verlierer der Reform.
Es sind viele Baustellen, auf denen Gesundheitsminister Rösler am Mittwoch in der Regierungskommission arbeiten muss. Die Aufgaben sind nach den Wahlen von Nordrhein-Westfalen nicht einfacher geworden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden