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Archiv-Artikel

zwischen den rillen Kopf auf und der Hintern wird folgen

Krautrock, Kunstrock, fröhlicher Verkrampfungspop: Knarf Rellöm und die Band Jeans Team haben neue Alben veröffentlicht

Deutschpop? Das Markenzeichen dürfte Knarf Rellöm einige Probleme bereiten. Nicht wegen des Pop, denn mit zitatverliebten Melodien und diskursverstärkten Texten ist der Hamburger Musiker bereits seit 1990 unterwegs. Erst in der Band Huah!, dann als Ladies Love Knarf Rellöm, selbst die SZ-Mediathek hat einen seiner Tracks auf die Kompilation-CD für das Jahr 1997 genommen. Aber muss es deshalb Deutsch sein? Höchstens jein. Und Patriotismus geht mit Rellöm gar nicht. Oder wie es in dem Song „Arme kleine Deutsche“ zum positiven Selbstverständnis der Nation heißt: „Ich muss sagen, ich fand die Verkrampfung schöner!“

Man glaubt ihm sofort, schon weil „Move your ass & your mind will follow“ zielstrebig an aktuelle Popentwürfe andockt: immer aus der Schräglage von linksaußen. Gleich zu Beginn wird man mit Hörspiel-Funkadelic abgeholt, dann Richtung Electropunk geschubst („Kaufen vor dem Saufhaus“) und zum Höhepunkt mit „Talkin’ Techno“ minutenlang im Herzschlag-Beat massiert. Doch die Brechung lässt nie lange auf sich warten: Mal verehrt Rellöm im stumpfesten 4/4-Gepolter mit Anton Reiser den Helden aus dem Bücherregal der Romantik; mal verkompliziert er die Dancefloor-Verhältnisse, indem er darüber meditiert, ob ein Refrain auf die verräterische Sozialdemokratie nicht doch eher den Rechten in die Hände spielt. So bewegt sich Entertainment bei Rellöm auf Schlingerkurs zwischen Arschwippen und Bedenkentragen. Das ist ganz Dead School Hamburg, wie man sie von den Goldenen Zitronen und anderen Pudelclubbern kennt.

Man kann die Allianz aus Deutsch hier und Pop dort aber auch gelassen hinnehmen. Vielleicht hilft sogar eine Extraportion Unernst, die sich etwa das Berliner Jeans Team leistet. Denn eine Band, die in Zeilen wie „Kein Gott / Kein Staat / Keine Arbeit / Kein Geld“ zu Hause ist, kann eigentlich keine bösen Lieder kennen. Tatsächlich ist „Das Zelt“, die erste Singleauskoppelung der neuen CD „Kopf auf“, ein schelmenhafter Hit, der das Moll einer Wald-und-Wiesen-Klampfe nicht scheut, dann mit Two-Tone-Bläsern ordentlich Fahrt aufnimmt und auch sonst einen soliden Schwof-Faktor besitzt. Fit für die Erstsemester-Fete und trotzdem mit dem sozialen Missmut ganz unten – sind Jeans Team das musikalische Pass- stück zwischen arm und sexy? Das Angebot haben sie jedenfalls gut sortiert. Es gibt NdW-Schlager („Wandern“), elektronisch stimulierte Disco-Hüpfer wie „Komet“ oder den Plastik-Wave der 80er-Jahre („T.Y.T.T.S.“), dessen grell quietschende Synthies gut abgestimmt sind auf den Nonsense-Slogan, dass man daheim doch am schönsten scheißt. Und mit „Silizium“ knien Jeans Team tief nieder vor Kraftwerk, der nach 35 Jahren weiterhin wirkungsmächtigsten deutschen Soundfabrik. Überhaupt gilt: immer feste mitnehmen, was sich anbietet. Krautrock, Kunstpop, Trio: Erst in der Vielfalt der Verweise zeigt sich, dass Songwriting auf dem heutigen Stand nicht von genialischen Eingebungen lebt, sondern aus einer genauen Lektüre des historisch vorgegebenen Materials entsteht. Wenn all diese Schwingungen und Gestimmtheiten zusammenkommen, klingt es auf „Segel Dein Schiff“ rundum geschliffen, nach elegant veredeltem Popzierrat, dem keine Abwege fremd sind – bis hin zur kurz mal hineingeschnarrten Flamenco-Gitarre. Wer so viel ironische Distanz – besser noch: Souveränität – im Umgang mit Stilbrüchen zeigt, ist auch vor der nationalen Wohlfühlecke sicher. Wären Jeans Team nicht Pop, sondern beim Fernsehen, hießen sie Harald Schmidt.

HARALD FRICKE

Knarf Rellöm Trinity: „Move your ass & your mind will follow“ (ZickZack/What So Funny About)Jeans Team: „Kopf auf“ (Louisville Records/Universal)