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■ Konzert-Butterfahrt nach St. Petersburg – ein Rückblick„Umsteigen macht glücklich“

Braucht man für eine Butterfahrt Abitur? Nicht unbedingt, aber es hilft beim Ergattern eines begehrten Liegewagenplatzes. Den gibt's im Nachtzug von Malmö nach Stockholm nur gegen Vorlage eines Zeugnisses. Eine Siegerurkunde von den Bundesjugendspielen '74 geht ersatzweise auch.

Allerhand lustige Sachen hatte man sich einfallen lassen für die „Butterfahrt '94“. Sackhüpfen rund um die Eremitage, gutaussehende DJs und „interessante Bands aus dem Musikbereich“ standen auf dem Programm der einwöchigen Tour. 236 Leute aus fast ganz Deutschland, Durchschnittsalter Ende 20, Freizeitalkoholiker und ernsthafte Trinker, zwei Drittel Studenten, Arbeitslose, Jung (9) und Alt (69) hatten sich vom Werbeslogan „Jetzt noch umständlicher“ nicht abschrecken lassen und 555 DM (inkl. Visum) an das Düsseldorfer „Bazooka Cain Büro“ überwiesen.

„Ich bin erstaunt, was man für 500 Mark alles geboten bekommt“, meint Edeltraud Tylich, eine ältere Dame aus Viernheim, die mit ihrem Sohn Paul reist. Unter dem Motto „Umsteigen macht glücklich“ ging es los: Nicht weniger als neunmal wechseln wir zwischen Zügen, Bussen, Taxis und Fähren – doch alles klappt. 54 Stunden (D'dorf Hbf. bis Petersburg) sind lang. Zeit genug, um sich kennenzulernen, anzubändeln, Trinkfreundschaften zu schließen und – vor allem – ein Gruppengefühl zu entwickeln. Das ist nicht schwer, denn mit den gelben Butterfahrer-Sonnenhüten sehen alle gleich doof aus.

Auf der Fähre Saßnitz–Trelleborg ein erster Programmhöhepunkt: „Die Braut haut ins Auge“ aus Hamburg ist die schönste Mädchenband der Welt! Als dann bei der Zugabe „Bazooka Cain“ unsere Butterfahrer der ersten Stunde die Bühne entern und in das schöne alte Lied „Substitute“ einfallen, sind alle glücklich. Spätestens an diesem Abend wird klar: Hier geht es um die Verbindung von Musik und Tourismus. Jährlich steigende Zahlen von Teilnehmern, einige von ihnen Wiederholungstäter, belegen, daß das Rezept stimmt. Auch gibt es schon Nachahmer unter anderen Bands. Organisator Markus Lezaun betreibt daher die Anmeldung der Butterfahrt-Idee zum Patent.

St. Petersburg. Kulturtouristen tummeln sich im historischen Zentrum. In Restaurants auf dem Nevsky-Prospekt zahlt man saftige Dollar-Preise, und auf dem Schwarzmarkt werden neben Koch- und Auspufftöpfen auch Handfeuerwaffen feilgeboten. Das ist natürlich alles sehr schön, die eigentlichen Attraktionen für uns Butterurlauber spielen sich jedoch nachts im verborgenen ab: wenn unsere Bands die Musik-Clubs in brodelnde Kessel verwandeln. Die Düsseldorfer „P-Whips“ geben sich in der ersten Nacht die Ehre – in einem vollgestopften, verschwitzten Hinterhofkeller, der sich schlicht „Rock-Club“ nennt. Der nächste Auftrittsort ist ein riesiger Schuppen mit Spiegel-, Chrom- und Plastikdekor und heißt „Black Dog“ – obwohl über dem Eingang die riesige Leuchtreklame des ehemaligen „Kosmonaut“-Kinos prangt. Die dritte, fast noch weiße Petersburger Nacht beginnt im „Indie-Club“, im Kulturzentrum „W.I. Lenin“ (Metrostation Proletarskaja) und endet auf einer Party mit Jam-Session in einem von Künstlern und Musikern besetzten Haus. „Wer hier noch meckert, der ist selber schuld!“ Aber wer meckert denn, Frau Tylich?

Die Woche war natürlich nicht frei von Strapazen, doch ausruhen kann man sich auch zu Hause. Im Gegenteil: Man freut sich schon auf die Krim im nächsten Sommer. Oder Silvester in Bukarest? Die Pläne sind groß – der Osten auch. Hendrik Lietmann

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