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Kontinuität des Zufalls

■ „Ensemble 13“ spielte „Thirteen“ von John Cage , ein Spätwerk

Der amerikanische Komponist John Cage sprengte mit seiner Kunst bestehende Grenzen und schuf radikal Neues. Was er nicht hat verändern können: seine Musik wird in der gleichen ritualisierten Form aufgeführt wie die Beethovens. Grund genug, wenigstens das Ritual der Konzertkritik zu verlassen und die Chronologie dem Zufall zu opfern. Klingt anarchisch? Ist auch so gemeint. Jedenfalls von Cage.

Die Komposition Thirteen wurde in zwei Fassungen aufgeführt. Beim zweiten Mal gestalteten die MusikerInnen ihre Partien wesentlich expressiver und weniger gleichförmig, aber leider klang diese Expressivität anfangs nach gewolltem Gegensatz zum ersten Durchgang. Erst später schien das Ensemble sich wirklich, wie von Cage immer wieder gefordert, auf die bloßen Töne zu konzentrieren.

Typisch für Cages Kompositionsstil ist die Bedeutung der Stille; in Thirteen baut sich jedoch aus langen Tönen, die laut Cage leise zu spielen sind, ein Klangkontinuum auf. Kurze Töne dürfen laut gespielt werden.

Die dreizehn MusikerInnen spielen ohne Dirigenten und entscheiden innerhalb festgelegter Zeitabschnitte selber, wo Anfang und Ende der vorgeschriebenen Töne sind.

Im Sendesaal von Radio Bremen fand am Sonntag abend nur eine „Voraufführung“ statt, denn Thirteen wurde von Cage eigens für das „Ensemble 13“, aber im Auftrag der Stadt Gütersloh geschrieben; dort wird es heute richtig uraufgeführt.

Cage komponierte, indem er die Töne durch Zufallsoperationen bestimmen ließ — es ist immer wieder faszinierend zu hören, wie harmonisch diese Klänge klingen können.

Manfred Reichert, der Leiter des „Ensemble 13“, hatte die sparsamen Erläuterungen Cages durch eine ausführliche Spielanweisung ergänzt: darin schärfte er den MusikerInnen ein, daß sie so vollendet und genau wie möglich zu spielen hätten, ohne auf die anderen zu hören. Sie sollten die komponierten Töne aber nicht phrasieren oder interpretieren.

Reichert hatte auch die beiden gegensätzlichen Fassungen des 30-minütigen Werkes initiiert. Die beiden gleichen und doch verschiedenen Stücke machten neugierig auf eine Version ganz ohne Direktiven für den Ausdruck.

Sein Spätwerk hat John Cage nur nach der Anzahl der MusikerInnen betitelt, die Spielräume für die MusikerInnen und die Klagkonstellationen sind jedoch jeweils unterschiedlich.

John Cage ist 1912 geboren und starb im August des letzten Jahres. Thirteen ist eines seiner letzten Werke.

In der ersten der beiden Fassungen wurden Extreme sowohl in der Lautstärke als auch in der Artikulation der einzelnen Töne bewußt vermieden. Der Klang der leisen, langen Töne floß, von kurzen Einzeltönen gestört, gleichförmig dahin.

Die erste Handlung am Notenpult: das gleichzeitige Anstellen der Stoppuhren.

Der Sendesaal von Radio Bremen war mit über zweihundert BesucherInnen überfüllt.

Kunst ist eine Sache der Erfahrung, nicht des Verstehens, hat John Cage gesagt.

Wilfried Wiemer

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