Konservative: Eine polnische Warnung
Konservatismus und Homophobie nach polnischem Vorbild könnten auch Europa zur Explosion kommen. Verzweifelte Anmerkungen eines Literaturkritikers.
Polen ist zurzeit der Schauplatz des Siegeszuges einer religiös fundierten, radikalen Rechten. Die Innenpolitik des Landes beschränkt sich einerseits auf die unaufhörliche Aufarbeitung tatsächlicher oder vermeintlicher Verfehlungen in der Zeit des Kommunismus (was inzwischen fast alle Lebenden betrifft), andererseits auf die Trockenlegung des liberalen Sumpfes der vergangenen 18 Jahre (denn als solchen betrachten die heute Herrschenden das Polen der Transformationsphase). Diese Politik ist ein Kampf gegen sämtliche Anzeichen einer Pluralisierung und Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens mit Methoden, die von polizeistaatlichen nicht mehr weit entfernt sind. Die Außenpolitik beschwört antirussische und antideutsche Ressentiments und benutzt die Geschichte, um den Nationalismus anzuheizen. Das Polen von heute ist ein Land von Fremdenhassern, Antisemiten und Homophoben, die ihr wahres Gesicht hinter der Maske demokratischer Staatsmänner verbergen. Und das geht nicht nur die Polen an. Morgen kann beinahe jedes Land in Europa so aussehen.
Warum? Der Populismus ist keine seriöse politische Alternative, die zu einem Wandel demokratischer Art fähig wäre. Vielmehr ist er gerade symptomatisch für das Fehlen realer gesellschaftlicher und politischer Entwürfe. Nicht für den religiösen Wahn der Rechten hat vor zwei Jahren die Mehrheit der polnischen Wähler gestimmt. Sondern gegen eine Realität, die eine Teilung in Rechte, Linke und Mitte lediglich simuliert, während sie im Grunde nur die Wahl lässt zwischen oberflächlichen Gesten im Rahmen der Mediendemokratie. Und dieser Mangel an realen Alternativen betrifft nicht nur Polen. Manchmal denke ich, Polen ist die letzte Warnung vor den Dämonen des Nationalismus, die in ganz Europa am dämmrigen Rand der Demokratie lauern (ist die Krise des europäischen Multikulturalismus nicht der beste Beweis dafür?).
Das ist eine Warnung vor fundamentalistischen Stimmungen auf religiöser, ausländerfeindlicher, antisemitischer und schließlich auch antihumanistischer Grundlage, die jeden Augenblick explodieren können - so wie vor zwei Jahren in Polen. Die polnischen Populisten werden die nächste Wahl verlieren, aber sie hinterlassen einen üblen Nachlass: nämlich all die bösen Worte, die sie gegen die Frauen gerichtet haben, gegen die nationalen und sexuellen Minderheiten, die Juden; all die Beschädigungen, die sie bei den Bürgern der jungen Demokratie angerichtet haben; auch ihre Semantik wird nachwirken, die den Sinn solcher Worte wie "Recht", "Gerechtigkeit", "Solidarität", "Demokratie" auf lange Zeit verdreht haben wird.
Hat das irgend etwas mit Literatur zu tun? Im Rausch der Freiheit haben die polnischen Schriftsteller es Anfang der 90er-Jahre ihren westlichen Kollegen nachgetan und sich von der Literatur als einem Werkzeug zur Gestaltung gesellschaftlicher Weltvorstellungen abgewandt, um sich statt dessen dem Individualismus existentieller Erfahrung, der Ästhetik als Garant des Lesevergnügens oder der Handlung als Quelle der Unterhaltung des bürgerlichen Rezipienten zu widmen. Das Recht auf die freie Wahl der Weltanschauung, des Lebensstils und die eigene Meinung zu Geschichte und Gegenwart haben sie den Massenmedien und der politischen Klasse abgetreten, die ihnen das mit Herablassung und Verachtung der künstlerischen Fantasie gedankt hat.
Der freie Markt, nunmehr entscheidend für das Schicksal der Autoren und den Geschmack des Lesers, hat ein Übriges getan und die polnische Literatur zur Ware degradiert, die Profit abwerfen soll. Viele Jahre lang kamen die führenden Kritiker gar nicht auf die Idee zu untersuchen, welche gesellschaftlichen Inhalte die Romane, Erzählungen und Gedichte, die in der noch unfertigen Demokratie entstanden, eigentlich transportierten. Die feministische Strömung wurde von vorherrschenden existenziellen Lesarten marginalisiert, die sich auf die männliche Erfahrung konzentrierten. Die Literatur der sexuellen oder ethnischen Minderheiten wurde verdrängt von metaphysischer Prosa und Poesie, die die Identität des Einzelnen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Frage nach Ewigkeit zeigte.
Als sich jedoch nach einer Dekade marktwirtschaftlicher Veränderungen eine dumpfe rechte Atmosphäre zusammenbraute, die 2005 die Radikalen an die Macht brachte, unternahm eine der bedeutendsten polnischen Kulturkritikerinnen -Kinga Dunin - den Versuch, die Haltung der polnischen Schriftsteller zur gesellschaftlichen Wirklichkeit aus den Texten herauszulesen, die im zurückliegenden Jahrzehnt entstanden waren. In ihrem bekannten Buch "Polen lesen" (2004) stellte sie fest, dass die Werte, zu denen sich die Helden der Romane bekennen, sowie ihre Einstellung zu den konservativen Überzeugungen der Religion der zunehmenden Macht der rechten Seelenherrschaft diametral entgegengesetzt ist. Mehr noch, die Autoren sehen auch jene Eigenschaften des polnischen Hier und Jetzt zunehmend kritisch, die in den 90er-Jahren noch unstreitig schienen - die Transformation zur Marktwirtschaft und zu einer liberalen Mitte, die sich mit der konservativen Ausprägung der polnischen historischen und gesellschaftlichen Identität abgefunden hatte.
Zugleich betrat Anfang des Jahrzehnts eine junge Autorengeneration (darunter auch Stückeschreiber) die literarische Bühne, die in ihren Werken offen Kritik an der freien Marktwirtschaft und dem Kulturkonservatismus übten. Dorota Maslowska zeigt die Medienwelt als Werkzeug zur Manipulation der Gesellschaft. Mariusz Sieniewicz beschreibt die Armut der polnischen Provinz, die Ausbeutung im Kapitalismus und die tief in der polnischen Kultur verwurzelten Codes von Männlichkeit und Antisemitismus. Slawomir Shuty porträtiert entfremdete Angestellte der großen Konzerne und zeigt die Beziehungen zwischen Religion und Konsum auf. Marta Dzido schildert in ihren pop-feministischen Büchern die dramatische Situation junger Frauen in einer Wirklichkeit, die geprägt ist von Arbeitslosigkeit, Phallozentrismus und kleinbürgerlichen Vorstellungen zur Rolle des Geschlechts in der Gesellschaft. Daniel Odija beschreibt den Konflikt zwischen freiem Markt und konservativen humanistischen Werten. Die Autoren der Gay- und Lesbenströmung - Michal Witkowski, Ewa Schilling und Bartosz Zurawiecki - diskutieren die vorherrschenden religiös-konservativen Identitäten der Polen. Und das sind nur einige von vielen.
Es zeigte sich, dass die Literatur, ebenso wie die anderen Künste, unseren Reflexionen der gesellschaftspolitischen Realität neue Freiräume schafft. Das Problem ist nur, dass die engagierte Literatur eine unbeachtete Stimme geblieben ist - isoliert vom Diskurs der Macht durch die Idee einer Zivilgesellschaft, in der Kultur und Politik sich auf dem Weg zum Aufbau einer gemeinsamen Idee verfehlen. Auch wenn sie die Gefahr des aufkommenden religiös-konservativen Fanatismus ahnte, war sie machtlos gegen den Triumphzug des Populismus auf der Rechten, der - sagen wir es noch einmal - deshalb obsiegt hat, weil er die Aufkündigung des Pakts zwischen Kapitalismus und politischer Mitte versprach, eine vierte Republik, eine Art "vierten Weg".
Ist das jetzt das Ende der Geschichte? Glücklicherweise nicht. Da die Kultur unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nun einmal marginalisiert ist, meldeten sich Schriftsteller (zum Beispiel Mariusz Sieniewicz), Lyriker (Jaroslaw Lipszyc) und bildende Künstler (Artur Zmijewski) in den Massenmedien zu Wort. Sie verdeutlichten den Tenor ihrer eigenen Arbeiten, brachten ihre Weltanschauung klar zum Ausdruck und beteiligten sich an den nötigen Debatten über die Gestalt der polnischen Realität, alles an einer Front mit den Politikern. Auf diese Weise entstand eine außergewöhnliche Gemeinschaft von linken Intellektuellen aus Kultur und Politik, die seit mehreren Monaten auf den Seiten der größten polnischen Zeitungen - der liberalen Gazeta Wyborcza, dem regierungsfreundlichen rechten Dziennik und dem liberal-katholischen Tygodnik Powszechny - über gesellschaftliche Veränderungen debattieren.
Möglich wurde dies nur deshalb, weil die Sprache der Politik sich der Kunst zugewandt und in ihr alternative gesellschaftliche Projekte ausgemacht hat, während die Sprache der Kunst auf die Politik zugegangen ist. Aber dazu musste es in Polen erst zu einer Katastrophe kommen - zum Machtgewinn der Radikalen und Populisten.
Ich wünsche mir, dass die Ereignisse in Polen unseren westlichen Freunden als Warnung dienen. Ich wünsche mir auch, dass Polen ein Vorbild werde für den Widerstand der Kulturschaffenden nicht nur gegen die Radikalen von rechts, sondern auch gegen ein politisches System, das die Ungleichheit zur Tugend und den freien Markt zum Götzen erhebt und das die Entwicklung realer gesellschaftspolitischer Alternativen verhindert. Ich träume davon, dass unsere westlichen Freunde - Schriftsteller, Künstler, Politiker, Intellektuelle - uns in unserem Kampf gegen eine Regierung unterstützen, die auf die Freiheit pfeift, eine Sprache von Hass und Rache spricht und historische Wunden aufreißt; und davon, dass Literatur, Kunst und Theater auf breiter Front zu der Debatte über ein Europa beitragen, das sich dem Diktat des Neoliberalismus nicht unterwirft.
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Der Autor ist Literaturkritiker und Redakteur der Zeitschrift Krytyka Polityczna. Am kommenden Mittwoch diskutiert er in Berlin um 20 Uhr mit den AutorInnen Kinga Dunin, Tanja Dückers, Siarhiej Prylucki, Oleh Kocariew und Mariusz Sieniewicz zum Thema "Rückkehr der Politik. Literatur in Zeiten des politischen Wandels". Ort: taz-café
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!