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„Konsequent uneinig“ beim Lesbenfrühling

Noch nie waren es so viele: Über 2.500 Lesben trafen sich am letzten Wochenende in Bremen zum „Lesbenfrühling'92“ und eroberten die Hansestadt. Das seit 15 Jahren als „Lesbenpfingsttreffen“ bekannte Meeting wurde in diesem Jahr umbenannt: „Mit der Bezeichnung Pfingsttreffen wurden alle ausgegrenzt, die eine andere Religion haben. Außerdem steht lesbisches Leben nicht gerade in christlicher Tradition“, erklärte Karin Dölling, eine der Bremer Organisatorinnen.

Unter dem Motto „Widerstand und politisches Selbstverständnis von Lesben“ trafen sich in diesem Jahr vorwiegend jüngere, frauenliebende Frauen aus der ganzen Republik und dem benachbarten Ausland, um sich gegen Heterosexismus und die Ausgrenzung von Minderheiten auszusprechen. Diskutiert wurde in den über 50 Veranstaltungen aber auch die Mittäterschaft von Lesben oder die Auseinandersetzung mit der „Normkeule“ in der eigenen Szene.

Die „Din-Lesbe“ hat kurze Haare, ein cooles Auftreten und niemals Handtäschchen — so skizzierten selbstironisch die fast 200 Teilnehmerinnen eines Workshops ihre eigenen Klischees. Zu ihrem politischen Selbstverständnis haben Lesben das Engagement gegen Rassismus und Nationalismus zu zählen, und insgesamt gilt: je radikaler, desto lesbischer und besser. Daß dem nicht so ist, weiß mittlerweile jede. Doch bisher gingen die Unterschiede im schützenden Einheitsbrei unter: „Normen sind notwendig, um in einer Minderheit das Wir-Gefühl zu erzeugen, aber sie grenzen auch aus“, befanden die Referentinnen Maren Bock und Frieda Kley. Schwarze, jüdische oder behinderte Lesben wollen sich nicht länger unter diesem „wir“ subsumieren lassen und die Andersartigkeit unter Lesben thematisiert wissen.

„Konsequent uneinig“ lautete so auch das Motto des „Lesbenfrühlings“. Und dabei ging es um Fragen wie: Dürfen Lesben sich auf einen spirituellen Weg zurückziehen und die politische Arbeit links liegen lassen? Dürfen sie Geld haben und Häuser erben? Dürfen sie untreu sein, Gewalt ausüben, sich unsolidarisch verhalten? In überfüllten Veranstaltungen wurde heftigst und kontrovers gestritten und tatsächlich waren sich alle konsequent uneinig. (Und was kam nu bei aller Streiterei raus? d. säzzerin)

Vergeblich suchte frau im Themenpool Angebote zur Situation von Lesben in der Ex-DDR und ihren Widerstandsformen im alten und neuen Deutschland, vergeblich auch die Suche nach der berufstätigen Lesbe. Und zum Thema Internationalismus wurde neben den „Tänzen aus aller Frauen Länder“ ausgerechnet eine nicht-lesbische Problematik — „Solidarität mit palästinensischen Frauen“ — ausgewählt.

Die Hoffnung der Organisatorinnen, die vom Auseinanderbrechen bedrohte Lesbenbewegung mit der Diskussion um das politische Selbstverständnis wieder ins Gespräch zu bringen, sieht Susanne Sternberg, eine der 21 Bremer Veranstalterinnen, als geglückt an. Und trotz konsequenter Differenzen waren sich letztendlich doch alle in einem Punkt einig: Lesbisch leben und lieben ist ein Grund zum Feiern. Kaiser und Mertins

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