Konjunkturprogramme in Korea: Das grüne Herz von Seoul
Kein anderes Land der G 20 gibt prozentual so viel Geld für klimarelevante Projekte aus wie Südkorea - aber manche sind nur scheinbar ökologisch.
Vier Jahrzehnte lang floss der Cheonggyecheon, zu Deutsch reiner Bach, unter einem Asphaltdeckel durch Südkoreas Hauptstadt Seoul und wurde als Kloake missbraucht. Dann kam Bürgermeister Lee Myung Bak, riss gegen viel Widerstand eine Hochstraße ab und legte den Bach wieder frei. Heute bildet der Cheonggyecheon das grüne Herz von Seoul. Über eine Länge von 6 Kilometern plätschert sein Wasser über Natursteine und lädt 25 Millionen Stadtbewohner zum Spazieren ein.
Diese "grüne Revolution" hat Lee, vor einem Jahr auch dank dieses Erfolgs zum Präsidenten gewählt, inzwischen ganz Südkorea verordnet. Als vormaliger Chef des größten Baukonzerns hatte der heute 67-Jährige früher das halbe Land zubetoniert und sich den Spitznamen "Bulldozer" erworben. Doch als Politiker predigt Lee ein neues Credo: Südkorea soll zum Vorreiter einer klimafreundlichen Volkswirtschaft werden. Saubere Energien und Technologien sieht Lee als die Jobmotoren der Zukunft. Noch 2009 soll das Parlament ein Klimagesetz verabschieden: Darin wird sich Südkorea verpflichten, bis 2012 3,2 Prozent weniger klimaschädigende Gase zu erzeugen als 2005. Und das würde freiwillig geschehen. Die Nation ist zwar der zehntgrößte Klimasünder, aber die Vereinten Nationen stufen Südkorea noch als Schwellenland ein, das keiner Obergrenze für Treibhausgase unterliegt.
Mit dem im Januar beschlossenen "New Green Deal" macht der Präsident Nägel mit Köpfen. Verteilt über vier Jahre, werden 50,5 Billionen Won (28 Milliarden Euro), davon 43 Billionen Won öffentliche Gelder, für einen grünen Umbau der Wirtschaft ausgegeben. Nach einer aktuellen Studie der britischen Bank HBSC und laut dem Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung sind 80 Prozent der Mittel klimarelevant. Das südkoreanische Konjunkturprogramm ist damit das grünste der Welt. Ökoromantiker dürften die 9 Haupt- und 27 Nebenprojekte allerdings nur bedingt überzeugen. Denn beim Ausbau der Infrastruktur für Bahn und Schiff fließt wieder viel Beton. Andere Vorhaben sind klassische Industrieförderung. Das Programm soll vor allem Jobs schaffen: allein 149.000 in diesem Jahr, insgesamt 960.000.
Der "New Green Deal" sei eine "verbesserte Version früherer Pläne", räumt die südkoreanische Regierung ein. So dient ein Drittel der Investitionen der Sanierung der vier Flüsse Han, Geum, Nakdong und Youngsan und damit der Vorbereitung des Lieblingsprojekts von Präsident Lee: Der Han, der durch Seoul fließt, soll durch einen 20 Kilometer langen schiffbaren Tunnel mit dem Nakdong verbunden werden. Da dieser Fluss 500 Kilometer weiter südlich bei Südkoreas zweitgrößter Stadt Busan ins Meer mündet, könnten Container- und Passagierschiffe das Land in 24 bis 36 Stunden durchqueren - eine Transportrevolution. Das Konjunkturpaket finanziert den Bau zahlreicher kleiner Staubecken und Wasserkraftwerke entlang den Flüssen sowie die Wiederaufforstung der Ufer, damit es zu weniger Überschwemmungen kommt. Zugleich sollen die Speicher den chronischen Wassermangel Südkoreas lindern.
Zwei Bahnstrecken für Hochgeschwindigkeitszüge werden schneller als geplant fertiggebaut, um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene umzuleiten. Landesweit will man Fahrradwege anlegen, das Schnellbusnetz in den Großstädten erweitern und dabei mehr Erdgasfahrzeuge einsetzen. Ein weiteres Ziel sind zwei Millionen "grüne Wohnungen". Dabei denkt die Regierung beispielsweise an mit Solarenergie betriebene Wasserboiler, Wärmepumpen, Doppelfenster, Wärme-Isolierung und wiederverwertbare Baustoffe.
Solche in Deutschland längst etablierten Standards bieten in Südkorea noch viel Potenzial für Energieeinsparungen. Bio-Abfälle, darunter Seetang und Holzreste, werden als alternative Energiequellen erprobt. Der Staat fördert die Entwicklung von Akkus für Elektro- und Hybridautos sowie von Brennstoffzellen. Ein Fünftel der Beleuchtung in öffentlichen Einrichtungen soll bis 2012 auf LED-Lampen umgestellt werden.
Von all diesen Projekten ist die Sanierung der vier Flüsse in Südkorea am umstrittensten. Kritiker sehen darin ein Betongroßprojekt, dem ein grünes Mäntelchen umgehängt wird. Denn die bisher kaum schiffbaren Flüsse werden teilweise ausgebaggert und viele Feuchtgebiete trockengelegt. Mark Whitaker, Umweltsoziologe an der Ewha-Frauenuniversität in Seoul, warnt davor, dass koreaweit der Grundwasserspiegel fallen könnte. Auch mit der Renaturierung des Cheonggyecheon in Seoul sind einige Naturschützer nicht zufrieden: Sein neuer Wasserlauf wird mit 120.000 Tonnen Wasser künstlich gespeist, während das eigentliche Bachbett darunter liegt und weiter als unterirdischer Abwasserkanal dient.
Doch Lee argumentiert damit, dass die Renaturierung des Cheonggyecheon-Baches in Seoul einen ökologischen Effekt hat. Wo sich früher 180.000 Autos täglich auf zwei Ebenen stauten, atmen Mensch und Umwelt jetzt auf: Seitdem der Bach wieder strömt, ist die Luft im Hochsommer knapp drei Grad Celsius kühler und ein Viertel weniger staubig geworden. Mehr als 200 Tier- und Pflanzenarten beleben inzwischen den Bach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“