Konjunktur: Berlin trotzt BER-Desaster
Die Wirtschaftssenatorin freut sich über gute Zahlen - und fordert weniger Denkmalschutz.
Das Planungsdebakel um den neuen Hauptstadtflughafen BER kann der Berliner Wirtschaft scheinbar nichts anhaben. „Die bisherigen Auswirkungen sind überschaubar“, sagte die parteilose Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz bei der Vorstellung des Wirtschafts- und Innovationsberichts 2011/2012 am Montag. Derzeit lägen ihr keine Anfragen von Unternehmen vor, die wegen des verschobenen Eröffnungstermins in Schwierigkeiten geraten sind und Hilfe brauchen. Hilfen für die angeschlagene Flughafengesellschaft Air Berlin seien im Senat derzeit kein Thema. „An der Schubkraft des Flughafens für die hiesige Wirtschaft ändert eine verspätete Eröffnung nichts“, sagte von Obernitz.
Auch ohne diesen Schub soll Berlins Wirtschaft im laufenden Jahr wachsen – um ein Prozent, so die Prognose der Senatorin. Das bedeutet zwar einen Rückgang – 2011 wuchs Berlins Wirtschaft um 2,3 Prozent –, zeuge in konjunkturell schwierigen Zeiten aber von der Stabilität des Standorts und wirke sich bereits positiv auf die Zahl der Beschäftigten aus: Im Mai 2012 waren den Angaben zufolge 40.000 BerlinerInnen mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt als ein Jahr zuvor.
Zugleich wächst die in der Stadt traditionell schwach vertretene Industrie: Um 11 Prozent nahm die Summe der in Berlin produzierten Industriegüter 2011 im Vergleich zum Vorjahr zu. Um diese Entwicklung weiter zu befeuern, will von Obernitz dem Denkmalschutz zu Leibe rücken: Dessen Vorschriften stünden vielen Unternehmen bei der Weiterentwicklung ihrer Produktionsstandorte im Weg. „In solchen Fällen müssen wir in Berlin von den klaren Vorgaben des Denkmalschutzes abrücken.“ Auf dem Schöneberger Euref-Campus, wo Unternehmer und Forscher energieeffiziente Technologien entwickeln, sei teils nicht einmal der Einbau von energiesparenden Fenstern möglich.
Obernitz’ Begeisterung konnte das aber nichts anhaben: Berlin sei bundesweiter Spitzenreiter bei der Selbstständigenquote und der Zahl der Neugründungen, so die Senatorin. Auf 10.000 Einwohner kommen 128 neue Unternehmen. „Wir stehen in vielerlei Hinsicht auf Platz eins, das hätte vor fünf oder drei Jahren kaum einer gedacht“, sagte von Obernitz – und lobte damit indirekt die Arbeit ihres Vorgängers Harald Wolf (Linke).
Nachholbedarf sieht sie bei der Unterstützung der digitalen Wirtschaft: Die derzeit aus aller Welt nach Berlin strömenden Start-ups bräuchten mehr Hilfe des Senats, wenn es um Aufenthaltsgenehmigungen oder steuerliche Fragen gehe, sagte sie.
Was von Obernitz hierbei konkret vorhat, kann sie in der Nacht von Dienstag zu Mittwoch erzählen: Dann eröffnet die Senatorin die „Campus Party“. Erstmals gastiert das Festival, zu dem sich Hacker, IT-Entwickler und Investoren treffen, in diesem Jahr in Berlin. Dabei zeigen die Veranstalter, wie ein Flughafen tatsächlich zum Innovationsmotor werden kann: Das Festival läuft bis Samstag auf dem stillgelegten Flugfeld Tempelhof.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“