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Konjunktur teilt Deutschland wieder

■ Herbstgutachten spricht von „tief gespaltener wirtschaftlicher Lage“/ Wirtschaftsforscher prognostizieren fünf Millionen ohne Arbeit

Berlin (taz) — Pessimistische Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung und mitten im Wahlkampf eine deutliche Schelte der Politik der Bundesregierung sind die Kernpunkte des Herbstgutachtens der fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, das gestern in Bonn offiziell vorgestellt wurde. Bundeswirtschaftsminister Haussmann hatte die Kernaussage — 5,2 Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter und ein auf 1,5 Prozent reduziertes Gesamtwachstum — vorab als „zu pessimistisch“ abgetan. Bei der Erläuterung ihres Gutachtens blieben die ProfessorInnen jedoch bei ihrer Darstellung. Im Osten werde sich die „Talfahrt der Wirtschaft bis weit in das Jahr 1991“ hinein fortsetzen, und trotz des Nachfrageschubs aus dem Osten würden im Westen die „konjunkturellen Antriebskräfte erlahmen“, so daß das Wachstum unter die Vorjahresrate fällt. Hohe Ölpreise, ein „beschleunigter Anstieg der Mieten“ und höhere Lohnstückkosten ließen dagegen die Verbraucherpreise um vier Prozent steigen.

Kritik mußte die Bundesregierung vor allem wegen ihrer Wirtschaftspolitik gegenüber der ehemaligen DDR einstecken. Die Anhebung der Renten zum 1.Januar 1991 um erneut 15 Prozent könne eine Steuererhöhung unvermeidlich machen, was den Auftrieb bremsen würde. „Eine eklatante Fehlentwicklung“ nannten die Institute die Organisation der Treuhandanstalt. Jetzt dürfe nicht länger kostenaufwendig saniert werden, jetzt müsse so schnell wie möglich verkauft werden, sagte Prof. Flassbeck vom DIW Berlin. Prof. Schatz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ergänzte, der Umstrukturierungsprozeß zur Marktwirtschaft dürfe nicht aufgehalten werden. Es gebe derzeit oft keine Nachfrage nach Ost-Produkten. „Da muß zusammenbrechen, was zusammenbrechen muß“, sagte Schatz.

Opposition und Gewerkschaften sehen ihre Politik in den Prognosen bestätigt. Die finanzpolitische Sprecherin der SPD, Ingrid Matthäus-Maier, meinte, dem Beschäftigungseinbruch dürfe nicht tatenlos zugesehen werden. Notwendig seien gezielte Investitionen in neue Arbeitsplätze und angesichts der steigenden Staatsverschuldung drastische Einsparungen im Haushalt, vor allem im Verteidigungsetat. Bericht Seite 11, Kommentar Seite 10

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