Konjunktur ist Gefühlssache : Kommentar von Ulrike Herrmann
Setzt sich der Aufschwung fort? Oder wird die erhöhte Mehrwertsteuer ab 2007 eine Delle auslösen? Man weiß es nicht; bekannt ist nur, dass sich Konjunkturforscher in ihren Prognosen fast immer irren. Ihre Vorhersagen sind nicht viel mehr wert als das Orakel von Delphi zu antiken Zeiten. Trotz intensiver Wirtschaftsforschung und diverser Nobelpreise blieb es bisher bei der Binsenweisheit: Hinterher ist man schlauer als vorher.
Aber die vielen Prognosefehler haben kaum jemanden gestört. Es schien akzeptiert zu sein, dass sich die Wirtschaftswissenschaft als eine Art nüchterne Astrologie verstehen lässt: Die einen deuten Zahlenreihen, die anderen Sterne – aber in beiden Fällen treffen die Vorhersagen nur zufällig ein. Die hohe Irrtumsquote wurde bisher vergeben, weil niemand auf das Prinzip Hoffnung verzichten wollte, dass die Zukunft besser sein könnte.
Aber diese Hoffnung wirkt jetzt plötzlich trügerisch. Auch von einem Wirtschaftswachstum scheinen die Haushalte nicht zu profitieren, wie die jüngsten Zahlen vom Statistischen Bundesamt nahelegen. Seit 1991 ist das reale Nettoeinkommen der Bürger um ganze 2 Prozent gestiegen. Die Wirtschaft wuchs in dieser Zeit um real 20,9 Prozent.
Das ist ein sehr merkwürdiger Widerspruch: Irgendwo muss das zusätzliche Geld doch geblieben sein – und wenn nicht bei den Haushalten, wo dann? Bei den Reichen!, könnte man denken. Doch das wäre ein Missverständnis der Statistik. Alle Haushalte haben im Durchschnitt nur 2 Prozent hinzugewonnen; darin sind auch die Vermögenden enthalten.
Wo aber ist das zusätzliche Geld dann geblieben? Etwas überspitzt könnte man sagen, dass es eine statistische Einbildung ist. Die deutsche Wirtschaft wächst vor allem auf dem Papier – weil die Inflation nicht in vollem Umfang hineingerechnet wird, wenn es um die gesamte Volkswirtschaft geht. Das passiert nur beim Durchschnittseinkommen der Haushalte. So können zwei Zahlenreihen zu zwei völlig verschiedenen Ergebnissen kommen.
Konjunktur ist also nicht nur, aber auch Gefühlssache. In der Wissenschaft wie bei den Konsumenten. Und jetzt ist Deutschland in Partylaune.