: Kongos Stunde der Wahrheit
Die freien Wahlen im Kongo haben die Legitimitätskrise des Landes nicht beendet. Alles hängt jetzt wieder von der Willkür von Politikern ab, die nur an ihr Eigeninteresse denken
Die Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo sollten eigentlich die Legitimitätskrise der politischen Macht beenden, die das Land seit der Unabhängigkeit lähmt. Stattdessen hat die teuerste Wahl der Geschichte die Kongolesen in Sorge gestürzt. Ängste prägen die politische Stimmung und das soziale Klima, durchzogen von latenter Gewalt, die jederzeit explodieren kann.
Die Kongolesen haben das Gefühl, dass diese Wahl keines ihrer Probleme gelöst hat. Man erzählt ihnen von Frieden, aber ihr Land ist eines der militarisiertesten der Welt, und sie leben in einem Alltag voller Unsicherheit. Man erzählt ihnen von Demokratie und von der Ausübung ihrer Grundrechte, aber sie haben das Gefühl, umsonst wählen gegangen zu sein. Man erzählt ihnen vom Potenzial und von den Reichtümern ihres Landes, aber sie leben noch immer im tiefsten Elend.
Der Prozess der Vorbereitung freier Wahlen, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft, begann 2003 nach sieben Jahren Krieg, der sämtliche Infrastrukturen des Landes zerstörte und die Bevölkerung in Trauer stürzte. Die Wahlvorbereitung erfolgte in einem Klima der Unsicherheit, des Misstrauens und der tiefen Gräben zwischen den Angehörigen der politischen Klasse. Dennoch richteten sich dank der Anstrengungen der Schirmherren und Organisatoren dieses Prozesses und dank der Selbstverleugnung des kongolesischen Volkes alle Hoffnungen auf die Aussicht, dass der Kongo durch Wahlen demokratische Institutionen bekommen würde und vor allem vom Volk gewählte Führer.
Leider waren die Wahlen so sehr von unzähligen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, dass viele Kongolesen jetzt meinen, es sei nur eine Wahlfarce gewesen mit dem Ziel der Einsetzung vorab ausgesuchter Führer. Beide Kandidaten beim zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen gingen aus bewaffneten Rebellionen hervor, für die die Waffe das wichtigste Mittel ist, sich auszudrücken.
Nunmehr beginnt für den Kongo und sein Volk eine neue Ära. Nach dem Regen kommt Sonnenschein, sagt man gerne – und dieser Spruch drückt zweifellos den Willen des Volkes aus, das seit Jahrzehnten in stürmischen Zeiten lebt. Während des gesamten politischen Prozesses hat das Volk durch seine massive Teilnahme an der Wählerregistrierung und an der Stimmabgabe nicht nur seine Reife an den Tag gelegt, sondern insbesondere seinen tiefen Wunsch nach Frieden und Demokratie. Damit bewiesen die Kongolesen außergewöhnliche Toleranz – schließlich hatten sie, wie es manche ausdrückten, die Wahl zwischen Pest und Cholera, also lediglich zwischen jenen Kräften, die statt der versprochenen „Befreiung“ des Kongo die Verzweiflung der Bevölkerung vergrößert haben.
Wird nun alles besser? Angesichts des politischen Klimas heute ist klar, dass die Zukunft des Landes nie so bedroht war wie jetzt. Die Chance für die Kongolesen auf eine Verbesserung der Lage hängt hauptsächlich davon ab, wie die Schirmherren des Prozesses, die Wahlgewinner und auch die Wahlverlierer mit den Herausforderungen umgehen, die sich ihnen stellen. Und die Art, wie der Wahlprozess vonstatten ging, lässt ernste Turbulenzen befürchten.
Die erste Herausforderung besteht in der Nichtanerkennung des Wahlergebnisses. Zwar war die Wahl am 29. Oktober an sich relativ transparent. Aber die Auswertung der Wahlergebnisse litt unter einem schreienden Mangel an Transparenz, begleitet von einer Art der Veröffentlichung von Teilergebnissen, deren Logik das Geheimnis der Wahlkommission bleibt. Dies hat das Misstrauen gegen die Wahlkommission und das Risiko einer Wahlanfechtung erhöht. Damit droht das Land in unkontrollierbare Gewalt zu stürzen.
Der Sieg des amtierenden Präsidenten Joseph Kabila wird nicht nur von seinem Gegner Jean-Pierre Bemba in Frage gestellt, sondern auch von jenen Kräften, die während des Wahlprozesses zum Selbstausschluss gedrängt wurden und nun von Wahlbetrug reden. Dies gilt insbesondere für die Bevölkerung von Kinshasa, die ihre Abneigung gegen Kabila deutlich gemacht hat, indem sie massiv für seinen Widersacher stimmte. Die Kabila-Gegner halten den Wahlprozess für von vornherein vom Westen manipuliert, der seine Präferenz für den Amtsinhaber nur schlecht verberge.
Die UNO und die EU haben erhebliche Mittel in „Prävention“ und „Repression“ einer Wahlanfechtung gesteckt, und dies wird ihnen sicherlich ermöglichen, jeden Protest zu unterbinden. Aber wie lange bleiben diese Truppen im Kongo, um die Wahlergebnisse zu verteidigen? Wie wird die Bevölkerung kurz-, mittel- und langfristig auf diese Militarisierung ihres Landes reagieren? Und was passiert nach dem Rückzug dieser Truppen, die ja nicht ewig bleiben?
Selbst wenn das Wahlergebnis allgemein und freiwillig akzeptiert wird, bestehen weitere Herausforderungen, die zu Unruhe führen und die Hoffnungen der Kongolesen kompromittieren können, wenn man sie nicht bewältigt. Es geht um nationale Versöhnung und um soziale Kohäsion; dies wurde beides in den letzten Jahren zerstört, aber die Herstellung davon ist unabdingbar, wenn die Bevölkerung sich Entwicklungsprogrammen für das Land anschließen soll. Es geht darum, eine angemessene Antwort auf die Erwartungen eines Volkes zu finden, das so lange in Entbehrung gelebt hat. Es geht darum, die Ambitionen der Wahlverlierer durch eine transparente Staatsverwaltung zu befriedigen und durch eine Art der Regierungsführung, die die Kongolesen in den Mittelpunkt jedes politischen Handelns stellt und das Volk zum Souverän macht. Dies wird nicht einfach, denn die Wahl der Parlamentarier und der Provinzparlamente scheint den Kongolesen relativ gleichgültig gewesen zu sein.
Trotz des Fehlens jeder politischen Ideologie oder auch nur jeder Vorstellung, wie das Land regiert werden soll, hat die Präsidentschaftswahl Polarisierungen hervorgebracht. Es wurden zwei politische Lager gefestigt, die in einer nur durch Machtgier zu rechtfertigenden, bissigen Feindschaft zueinander stehen.
Die kriegerische Auffassung von Demokratie, die der Westen dem Kongo aufzwingen will und in der es einen Sieger und einen Verlierer gibt, wird die Krise dieses Landes nicht lösen. Denn die politische Klasse des Kongo nährt sich noch immer von den Problemen des eigenen Überlebens, was dazu führt, dass politischer Streit ausschließlich im Rahmen persönlicher und nicht gemeinschaftlicher Interessen ausgetragen wird. So kann diese Art Demokratie nur zu Chaos führen, denn die Besiegten von heute denken an nichts anderes als daran, die Aktionen der Sieger zu konterkarieren, zu neutralisieren oder sogar zu zerstören, um sich eines Tages an ihre Stelle setzen zu können.
Die afrikanische Kultur ist durchzogen von den Werten des Konsenses und der Solidarität. Dies ist die Basis, auf der Demokratie entstehen muss. Alles andere ist zum Scheitern verurteilt.ANDRÉ KABANDA
Aus dem Französischen von Dominic Johnson