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Konflikte offen politisieren

Die Gruppe „Ruch Wolnosc i Pokoj - Freiheit und Frieden“ sorgte auch im Westen schon für Aufregung. Auf dem letzten Parteitag der Grünen wurde gar der Verdacht laut, bei der Gruppe könne es sich um Reaktionäre handeln, eine Äußerung, die nur die Ignoranz mancher Delegierter bewies. Daß dem nicht so ist, ja, daß diese Gruppe den Hoffnungen des links–grünen Spektrums in der Bundesrepublik für einen Ansprechpartner in Osteuropa entsprechen kann, zeigen die wesentlichen Inhalte der Gruppe. „Der Grundunterschied zu Solidarnosc ist, daß die Bewegung „Freiheit und Frieden“ öffentlich auftritt, daß jeder offen unsere Flugblätter und Aufrufe unterschreibt, daß wir Konflikte offen politisieren wollen“, sagt einer der Sprecher, während der Tage der Amnestie. „Solidarnosc hat in ihrer Blütezeit zu Anfang der achtziger Jahre in der polnischen Gesellschaft viele Probleme angesprochen, aber nicht alle. Nimm z.B. das Problem des Militärdienstes, das wurde ganz außer acht gelassen. Wer den Frieden will, muß auch das Militär thematisieren.“ Vor allem nach der Verhängung des Kriegszustandes oder dem „Krieg“, wie viele Menschen in Polen sagen, war die Frage naheliegend, ob die vorher aus der Geschichte erklärbare Anerkennung der Armee in der polnischen Gesellschaft, die wie die Kirche den Ruf einer integren, nationalen Institution genoß, noch aufrechterhalten werden konnte. Einzelkämpfer begannen den Kriegsdienst oder den Eid zu verweigern, der jeden polnischen Soldaten zur Loyalität mit dem Warschauer Pakt und der Sowjetunion verpflichtet. Eine neue Qualität erreichten diese Aktionen, als Marek Adamkiewicz, ein ehemaliges Mitglied des Wroclauwer Studentenausschusses und Internierten, wegen der Verweigerung des Eides im Dezember 1984 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Protestaktionen und Unterschriftensammlungen für den Inhaftierten führten schließlich zu der Formierung der Gruppe „Freiheit und Frieden“. Am 30. Mai 1985 gab die Gruppe eine Erklärung heraus, in der sie die Maßnahmen gegen die Eidverweigerer kritisierte. Am 17. November 1985 folgte schließlich eine Grundsatzerklärung, in der eine nicht militarisierte Erziehung der Jugend, der Dialog zwischen Bürgern aus Ost und West, die Verwirklichung der Menschenrechte und des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung gefordert wurden. Heute ist die Gruppe in der Diskussion noch weiter gekommen. Die Mehrheit der Bewegung lehnt den Kriegsdienst nun prinzipiell ab. In fast allen Städten Polens gibt es „Gruppen von Freiheit und Frieden“. Nach der Katastrophe von Tschernobyl organisierte die Bewegung Demonstrationen in Breslau, Danzig und Krakau. „Die ökologischen Themen wurden schon teilweise durch Solidarnosc aufgenommen, doch blieb die Haltung der Gewerkschaft auf punktuelle Aktionen und Kampagnen beschränkt. Wir wollen uns der ökologischen Themen allumfassend annehmen, und Probleme gibt es da in Polen genug. Denke nur an die Verschmutzung des Wassers, der Luft und nun die Diskussion über die Atomkraft, weil in der Nähe von Danzig ein Kraftwerk gebaut werden soll. Aber auch in dieser Frage gibt es in der Gruppe kein geschlossenes Meinungsbild, die Minderheit will nur höhere Sicherheitsauflagen fordern, die Mehrheit aber lehnt die Atomkraft prinzipiell ab.“ Damit geht die Gruppe über die Positionen der traditionellen Menschenrechtsopposition nicht nur in Polen, sondern im gesamten Ostblock hinaus. Auch in der Gewerkschaft Solidarnosc hat nun die Diskussion über die Risiken der Atomenergie eingesetzt, doch angesichts der Braunkohledreckschleudern im ganzen Land tendieren immer noch viele Aktivisten zu der Meinung, die Risiken der Atomenergie seien geringer einzuschätzen als die Umweltverschmutzung durch die alten Anlagen. Zu einem besonderen Anliegen entwickelte sich die Aufarbeitung der polnisch–deutschen Geschichte. Mitglieder der „Bewegung“ versuchen zum Geburts– und Todestag von Otto Schimek - einem deutsch–österreichischen Soldaten, der in den letzten Kriegstagen den Befehl zur Erschießung von Polen verweigert haben soll und daraufhin selbst erschossen wurde, Blumen auf das Grab zu legen. Regelmäßig werden sie festgenommen und verhört. Doch auch in diesem Punkt will man nicht nachgeben: „Wichtig für uns ist, daß es deutsche Soldaten gab, die Widerstand geleistet haben, und wichtig ist, daß Militärdienst immer eine Gewissensentscheidung miteinschließt.“ Für diese Gewissensentscheidung nehmen die Mitglieder der Gruppe Gefängnisstrafen auf sich. Die Amnestie aber hat auch die beiden bekanntesten Mitglieder der Gruppe, Piotr Niemczyk und Jacek Czaputowicz aus ihrem Warschauer Gefängnis befreit. Theo Rüppeli jr.

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