■ Kommentare: Der Freier will keine Quittung, sondern sucht den Kick i Normen verletzen
Nutten organisieren, Nutten ins soziale Netz bringen, Altersvorsorge, Krankengeld, Polizeischutz – fehlt nur noch, daß wir auch noch Risikoversicherungen für den Fall einer Schwangerschaft abschließen oder eine Registrierkasse mit uns herumschleppen müssen, damit wir eine steuerlich gültige Quittung für psychisch gestörte Kunden ausstellen können – absetzbar über die Krankenkasse.
Ihr seid wohl vom tollen Affen gebissen, kann ich da meine Kolleginnen nur fragen. Wir sind Nutten, und wer zur Nutte geht, will nicht ein korrektes Geschäft abwickeln. Er geht nicht nur hin, weil er abspritzen muß oder will. Er sucht auch eine Art Abenteuer, will sich als einer fühlen, der Normen verletzt. Ich habe in Hamburg gearbeitet, wo die Puffs so sauber und ordentlich sind, als ginge man ins Viersternerestaurant, und wo alles abgewickelt wird, als kaufe man im Supermarkt ein. Doch da hat alles gefehlt, was zumindest in Italien Huren interessant macht – von der düsteren, heimlichen Atmosphäre bis zur Angst vor der Polizei. Lieber Himmel, welch eine Qual, da einem Freier ein Erlebnis zu vermitteln. Aber die Deutschen sind da vielleicht auch anders.
Hier in Italien will der Freier sich wie ein Outlaw fühlen. Er will mir nicht nur erzählen, was für ein toller Hengst er ist und wie potent, sondern auch, wie schwierig es für ihn ist, herzukommen: Überall wittert er Fallen oder Spione, seine Frau verfolgt ihn, die Polizei darf ihn nicht erwischen, Geschäftsfreunde wollen ihn erpressen. Daß bei uns Razzien an der Tages- oder Nachtordnung sind, macht unsere Freier nur noch geiler und, ehrlich gesagt, oft auch freigiebiger. Nicht selten kriegt man einen Nachschlag, wenn man ihnen das Gefühl eines gemeinsamen Abenteuers nicht nur erotischer Art vermittelt.
Und all das wollen diese Organisations-Tussies nun wegoperieren. Natürlich weiß ich, daß es riskant ist, nicht organisiert zu sein – von Ansteckung und Krankheit ohne Verdienst bis zum schutzlosen Ausgeliefertsein an Brutalos. Aber was wäre echte Prostitution, wenn niemand mehr das Gefühl hätte, etwas zu tun, was Normen bricht? Ich jedenfalls könnte unter Bedingungen wie in Hamburg nicht mehr als Nutte arbeiten. Emanuela Ferrari
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