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■ Kommentare Im Krieg gegen die Kultur der RastlosigkeitWider die Barbarei

Ist die Eile im täglichen Leben notwendig, oder haben wir mit ihr nur eine weitere Verhaltensweise übernommen, die so künstlich ist wie die Gelassenheit? Besteht ein Zusammenhang zwischen der heutigen Rastlosigkeit in allen menschlichen Beziehungen und der Produktivität? Ernährung war traditionell Sache der Frau. Von der zunehmende Überwindung dieser klassischen Frauenrolle leitet so mancher her, daß heute niemand mehr Zeit zum Kochen hat. Das immer größere Angebot an Schnellgerichten sei da nur die logische Folge. Das ist ein weiterer Kniefall vor der Kultur der Eile und damit vor dem American Way of Life.

Die Nordamerikaner haben sich zweifelsohne um die weltweite Kultur verdient gemacht: Scott Fitzgerald, um nur einen Autor zu nennen, der Jazz, das Actor's Studio, der Mythos von Hollywood oder die Jeans gehören da mit dazu. Aber andere kulturelle Erfolgselemente müssen durchaus hinterfragt werden. Allen voran das Fast food mit seinen Hamburgern und seinem Ketchup. Diese Fleischgeschwüre und diese blutähnliche Soße sind Teil der großen Verschwörung der einzigen Wahrheit, des allmächtigen Markts, des allgemeingültigen Diskurses und der galaktische Armee. Das Ketchup droht zum einzigen, allgegenwärtigen Geschmack sämtlicher nur denkbarer Gerichte zu werden. Ich habe Jugendliche gesehen, die das Zeug selbst auf die Paella kippten. In Anfällen absoluter Verzweiflung bin ich, durchaus ein toleranter Gourmet, der sich jedweder Ernährungsreligion versperrt, fest davon überzeugt, daß es nicht mehr lange geht, bis wir der ersten intravenösen Verabreichung von Ketchup beiwohnen.

Die Franzosen versuchen dem kolonialistischen Fast food die Kunstfertigkeit und Schnelligkeit ihrer Brasseries entgegenzusetzen, die Italiener leisten mit ihren Trattorias Widerstand. Doch auch wenn Frankreich und Italien der Herausforderung des Fast food fürs erste Stand gehalten haben, geht der Krieg weiter. Wir werden ihn nicht gewinnen, solange wir nicht unseren gastronomischen Widerstand stärken. Dazu ist es unerläßlich, daß die Rolle des Familienkochs auf mehrere Familienmitglieder verteilt wird. Mit dem gezielten Einsatz der Tiefkühltruhe, um das an einem arbeitsfreien Tag zubereitete Essen frischzuhalten, ist dies eine pragmatische und gleichzeitig zutiefst ethische Lösung, um der voranschreitenden Barberei der Schnellgerichte Einhalt zu gebieten. Manuel Vázquez Montalbán

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