■ Kommentare Europas Südgrenze ist mehr als eine Krisenregion: Neokolonialismus
Für die nördlichen Anrainerstaaten ist das Mittelmeer nichts weiter als die schwache Grenze Europas, geprägt von zunehmendem Fundamentalismus, Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnder Perspektive und Massenabwanderung. Vom Süden aus betrachtet, verwandelt sich Europa immer mehr in eine Festung, die nur noch nach Osteuropa schielt und dabei die südlichen Nachbarn vergißt. Die europäischen Länder lehnen jedwede Teilung ihres Wohlstandes ab, und das obwohl er größtenteils dank der Ressourcen des Südens erzielt wurde. Die EU erinnert sich nur an den Süden, wenn es um unsere Fischbestände oder um die Sicherstellung der Energieversorgung geht.
Zwei Sichtweisen – Ausdruck einer tiefen Kluft in der Region, die einst die Wiege jahrtausendealter Kulturen, Religionen und Zivilisationen war. Die Konferenz von Barcelona könnte ein erster Schritt sein, diese Kluft zu überbrücken. Für die Politik hieße dies mehr Zusammenarbeit, um Stück für Stück den demokratischen Freiheiten und rechtsstaatlichen Prinzipien im gesamten Mittelmeerraum zum Durchbruch zu verhelfen. Für die Wirtschaft eine Freihandelszone zur gemeinsamen Schaffung von Wohlstand.
Ob es dazu kommt, darf mit Recht bezweifelt werden. Seit der Europarat 1992 in Lissabon erstmals von der Bedeutung des Mittelmeerraumes und des Nahen Ostens für die Union sprach, rückt das Thema Sicherheit und Stabilität immer mehr in den Vordergrund. Die Koordination der Justiz- und Polizeiapparate verdrängt dabei alle anderen Ziele. Das Mittelmeer wird mehr und mehr zum reinen Problemfall reduziert. Die Schlagwörter lauten Drogenhandel, Terrorismus und illegale Einwanderung.
Unter diesen Vorzeichen ist Barcelona zum Scheitern verurteilt. Der Kampf gegen das internationale Verbrechen liegt ohne Zweifel in beiderseitigem Interesse. Aber eine gerechte wirtschaftliche Zusammenarbeit, demokratische Grundsätze und die Menschenrechte müssen ebenfalls in den Katalog der Gemeinsamkeiten aufgenommen werden. Ohne diese Punkte ist die vielgepriesene Sicherheit und Stabilität nicht zu haben. Denn so droht die Mittelmeerkonferenz zur neokolonialen Veranstaltung zu verkommen.
Diese Kritik an der Politik der alten Kolonialmächte müßte eigentlich von den südlichen Anrainern aufgegriffen werden. Daß es dazu nicht kommt, liegt nicht zuletzt daran, daß solch eine Politik ihre eigene antidemokratische Verfaßtheit in Frage stellen würde. Ein Grund mehr, warum genau diese Punkte die Debatte in Barcelona bestimmen müßten. Abdelhamid Beyuki
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