piwik no script img

■ Kommentare Die Frage ist, wie man da wieder rauskommtSeelisch verkrüppelt

Wenn von Eliteanstalten oder Kaderschulen die Rede ist, stellt sich im allgemeinen die Frage, wie und durch wen man da hineinkommt. Sie kosten viel Geld, die Auswahl ist meist hart, der interne Zusammenhalt rigoros. Ich meine aber, die Frage sollte lauten, wie man dort heil wieder rauskommt – nicht physisch, man kann ja aufhören, sondern geistig und sozial.

Da in Frankreich die Entscheidung für eine Eliteschule schon sehr früh fällt, ist der junge Mensch noch formbar. Wenn man ihn rechtzeitig „von der Straße holt“ und ihn voll eindeckt mit Lernstoff, ihm pausenlos einhämmert, daß er nur durch 24 Stunden Arbeit täglich am Ball bleiben wird, hat er kaum Zeit zu rebellieren. Trotzdem kommt es vor. Ich weiß, wovon ich spreche.

Meine Jahre an der École normale sind mir als einziges Trauma in Erinnerung, jeder Umgang mit meinen früheren Kameraden eine Tortur. Damals wußte ich, daß sie mit ihrem Aufstand gegen die Elite recht hatten und ich mich dennoch nicht fallenlassen durfte. Während sie zumindest die Entscheidung treffen konnten, ob sie auf einen Posten zuarbeiten oder als Clochard enden wollten, schien mir dies versperrt. Da ich die Welt der Absteiger nur als „Abschaum“ kannte, fürchtete ich mich vor ihr wie vor dem Leibhaftigen. Als meine Eltern dann nach Italien zogen und ich auf die Bocconi-Universität in Mailand durfte, kam mir das vor wie eine Erlösung.

Aber es war nur der Teufel in neuem Gewand. Zwar lebten wir nicht kaserniert, auch fehlte der Zwang, unaufhörlich zu lernen. Aber der soziale Druck war genauso groß. Wer hier studiert, wird was „Besseres“, und wer das nicht will, wird zum uni- internen Abschaum. Zwar wird man nicht rausgeworfen, aber gilt fortan als bunter Vogel: Man wird dabehalten, um den anderen zu zeigen, was ein „Versager“ ist.

An dieser Stelle packt es einen dann doch wieder, im Lauf der Zeit verinnerlicht man die Normen und Werte, und das ist wohl das besonders Teuflische an dieser Art Bildung. Selbst meine zeitweilige Mitarbeit in Revolutionären Zellen zeigte immer nur: Auch wenn ich mich noch so devot gab und Arbeiter mit Mumm und Intelligenz verehrte – tief in meinem Inneren fühlte ich mich als was Besseres. Und noch heute ertappe ich mich dabei, daß ich Verachtung empfinde für die Leute, denen zu helfen ich gekommen bin. Jacques Dufor

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen