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KommentarEin journalistisches Vorbild

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Tintin, der Held aus dem belgischen Comics "Tim und Struppi" können wir getrost als großen Reporter bezeichnen. Warum? Er ist weltoffen, neugierig und immer unterwegs. VON DANIEL BAX

M an hat ihn nie mit einem Stift in der Hand oder an einer Schreibmaschine gesehen. Und was seine Reportagen angeht, so ist ihr Inhalt ebenso im Dunkeln geblieben wie das Medium, in dessen Auftrag er einst um den halben Globus reiste. Dennoch lässt sich sagen, dass die Comicfigur Tim mit ihrem Begleiter Struppi der Reporter des 20. Jahrhunderts gewesen ist, spiegelt sich in seinen 25 Abenteuer-Bänden doch, metaphorisch verkleidet, die ganze Geschichte dieser Epoche. Mehr noch: Aufgrund seiner Weltoffenheit, seiner investigativen Neugier und seines Humanismus, der ihn stets an die Seite der Schwächeren trieb, muss man Tim sogar als journalistisches Vorbild betrachten. Und das, obwohl er nie eine Zeile geschrieben hat.

Bild: taz

Daniel Bax, blinder Blintext ist am blindesten in der Nacht

In Frankreich und Belgien wird "Tintin", wie er dort heißt, schon lange als übergreifender Nationalheld gefeiert, und seine Abenteuer gelten als ein Stück Weltliteratur. Zu Recht: In "Reiseziel Mond" nahm Hergé schließlich schon 1952 die bemannte Raumfahrt vorweg, in "Kohle an Bord" griff er 1960 das brisante Thema des Menschenhandels auf, und in "Tim und die Picaros" reflektierte er 1976 die Enttäuschung über das Scheitern vieler Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt.

In Deutschland dagegen werden Comics leider immer noch viel zu wenig als echte Kunstform geschätzt. Der 100. Geburtstag von Hergé böte einen Anlass, diese Haltung zu überdenken. Denn die Abenteuer von "Tim und Struppi" zeigen beispielhaft, wie sich im Medium Comic auch schwere Themen mit scheinbar großer Leichtigkeit und elegantem Strich pointiert - und pointensicher - erzählen lassen.

Die Evolution der berühmten Comicfigur war ein Spiegel der Entwicklung ihres Schöpfers. Der belgische Zeichner Georges Remi, der sich nach seinen Initialen Hergé nannte, war tief im erzkatholisch-konservativen Milieu seines Landes verwurzelt; sein Tintin begann seine Karriere als antikommunistischer Propagandaheld. Doch mit den Jahren löste er sich immer mehr von den Zwängen und Vorurteilen seiner Zeit. Seine Figur nahm ein Eigenleben an; auch wurden die Geschichten immer raffinierter und komplexer.

Zeit, sie auch hierzulande endlich als Pflichtlektüre zu entdecken.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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