Kommentar: Liberale entdecken Sozialpolitik
Die FDP muss mit der neugegründeten Linkspartei um Platz drei in der Parteienlandschaft kämpfen. Das zwingt sie, soziale Themen auf ihre Agenda zu setzen.
S o langweilig der Parteitag war - seit diesem Wochenende ist auch für die FDP nichts mehr so, wie es vorher war. Es gibt jetzt, ganz offiziell, eine neue sozialistische Partei in Deutschland. Das hat für alle Konsequenzen, auch für die FDP. Zunächst einmal erhält sie weitere Konkurrenz um den Platz drei hinter Union und SPD, und zwar von einer Partei, die für die Oppositionsrolle gegründet wurde - und entsprechend radikal auftritt. Die FDP dagegen fühlt sich auch nach neun Jahren nicht wohl in der Rolle der Opposition. Nun muss sie noch stärker um Wahrnehmung kämpfen, sonst läuft sie Gefahr, zwischen der großen Koalition und der lauten Opposition von links zu verschwinden.
Katharina Koufen ist Korrespondentin im Parlamentsbüro der taz.
Darüber hinaus hat die SPD ab jetzt langfristig einen linken Koalitionspartner. Nimmt man die Grünen dazu, käme die "Linkskoalition" laut Umfragen jetzt schon auf die notwendige Stimmenmehrheit. Das laute Nein der Grünen dürfte sich schnell verflüchtigen, wenn für Rot-Grün oder eine Ampel dauerhaft die Mehrheit fehlt. Für die FDP heißt das: Eine SPD, die sich nach links orientiert, entfällt als möglicher Regierungspartner. Die Hinwendung zur Union bleibt als einzige Option.
Schließlich muss die FDP auch thematisch auf den Linksruck reagieren. Dazu gehört, dass sie die Deutungshoheit über das Themenfeld "Soziales" nicht komplett dem linken Spektrum überlassen kann. In Stuttgart versuchte die FDP bereits, sich als moderne Familienpartei zu empfehlen. Ihr Motto: Gute Familien- und Sozialpolitik ist mit liberalen Grundsätzen vereinbar - etwa die Forderung nach Betreuungsgutscheinen für Kinder. Der FDP geht auf, dass es unklug ist, auf "gute Wirtschaftspolitik" zu verweisen, wenn andere Parteien Sozialpolitik längst zum Topthema gemacht haben. Nicht alle potenziellen WählerInnen wollen warten, bis eine gute Wirtschaftspolitik ihre Probleme von selbst löst.
Vielleicht haben die verhassten "Neosozialisten" für die FDP sogar ihr Gutes: Sie werden die verschlafenen Liberalen zu einem klaren Kurs zwingen. Westerwelle müsste Gysi und Lafontaine eigentlich dankbar sein. KATHARINA KOUFEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück