Kommentar: Kerneuropa hilft nicht weiter
Die EU-Staaten müssen sich entscheiden, ob sie eine starke politische Union oder nur eine Freihandelszone anstreben. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ist keine Lösung.
D er Brüsseler Gipfel vom Wochenende hat gezeigt, wie schwer der Mangel an gemeinsamen Zielen der Europäischen Union wiegt: Die offene Frage, ob die EU eine wirkliche politische Union oder eine große Freihandelszone wird, liegt jedem Konflikt zu Grunde.
Schon rufen die Ersten wieder nach einem Kerneuropa. Sie argumentieren, Europa dürfe nicht immer von den langsamsten und integrationsfeindlichsten Staaten gebremst werden. "Kerneuropa" ebenso wie die abgeschwächte Variante einer "verstärkten Zusammenarbeit" sind jedoch der beste Weg, die einzig wirkliche demokratische Instititution der EU - das Parlament - zu schwächen und die Union so zu einem Staatenbund zu degradieren.
Immer wieder verweisen Befürworter eines Kerneuropas auf Schengen und Euro: Diese seien jetzt schon ein erfolgreiches Modell für die verstärkte Zusammenarbeit. Genau genommen aber sind beide schlechte Beispiele: Schengen ist außerhalb der europäischen Verträge entstanden und soll jetzt erst integriert werden. Der Euro ist Sache der Europäischen Zentralbank. Beide funktionieren nur, weil das Europäische Parlament außer Stellungnahmen nichts zu melden hat.
Der Kompromiss vom Wochenende sieht jetzt explizit das Mittel der verstärkten Zusammenarbeit vor. Wenn ein Drittel der Mitgliedsstaaten vorangehen will, können sie das tun - auf Staatenebene. Das Parlament bleibt in diesen Bereichen ebenso außen vor wie bei Schengen und Euro.
Das Argument, eine verstärkte Zusammenarbeit werde so viel Strahlkraft entfalten, dass sich mittel- und langfristig auch die Zauderer anschlössen, ist falsch. Das lehrt die Erfahrung: Nicht einmal Tony Blair ist es gelungen, den Briten den Euro schmackhaft zu machen. Großbritannien wird auf absehbare Zeit nicht auf das Pfund verzichten.
Europa braucht nicht mehr Ausnahmeregelungen und Ausstiegsoptionen, sondern mehr Teamgeist. Wer eine starke demokratische Union befürwortet, dem kann an Kerneuropa nicht gelegen sein. Alles andere führt schnurstracks in die Freihandelszone. Demokratischer und bürgernäher wird die EU dadurch nicht.
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