Kommentar: Große Koalition der Ignoranz
Die Verschärfungen des Einwanderungsrechts schadet der Intergation. Auerdem: wie soll Globalisierung bei geschlossenen Grenzen funktionieren?
D er Bundesrat hat den Verschärfungen des Einwanderungsrechts zugestimmt, die Innenminister Wolfgang Schäuble und Arbeitsminister Franz Müntefering wollten. Alles andere wäre auch eine Sensation gewesen. Dass die schwarz-rot dominierte Länderkammer Gesetze der schwarz-roten Bundesregierung durchwinkt, ist das Normalste der Welt. Aber genau darin liegt das Problem: Ohne schlagzeilenträchtigen Koalitionsstreit hält sich die öffentliche Aufmerksamkeit für neue Gesetze in Grenzen. Das ist bedauerlich. Denn so fällt kaum auf, wie ängstlich Union und SPD in altem Denken verharren. Wie sie die Ratschläge sämtlicher Einwanderungsexperten, der wichtigsten Migrantenverbände, aber auch der Wirtschaft ignorieren.
Es ist absurd: Bei jeder Gelegenheit schwafeln Kanzlerin Angela Merkel und ihre Minister von den Chancen der Globalisierung. Mit ihren Gesetzen aber halten sie die Grenzen dicht. Obwohl in vielen Branchen längst Fachkräfte fehlen, bleiben die Hürden selbst für hochqualifizierte Ausländer hoch. Neueinwanderer müssen ein Gehalt vorweisen, das dreimal höher liegt als der hiesige Durchschnittsverdienst. Legale Einwanderung von Fachleuten, die nachweislich Arbeitsplätze schafft, wird so verhindert. Mit dieser Mutlosigkeit gefährdet die Koalition die ökonomische Entwicklung.
Mit den Verschärfungen bei Familiennachzug und Einbürgerung schadet die Regierung der Integration. Die Einwände der Vertreter von Migranten, die hier leben, wurden komplett außer Acht gelassen. Der Bundesratsbeschluss nur wenige Tage vor dem Integrationsgipfel ist eine Provokation. Es ist verständlich, dass die deutschtürkischen Verbände einen Boykott der Show im Kanzleramt erwägen. Und es ist interessant, wie der Bundespräsident auf ihren Appell reagiert, die Gesetze nicht zu unterschreiben, weil sie, wie Juristen meinen, gegen den Schutz von Ehe und Familie verstoßen. Horst Köhler hält viel auf seine Unabhängigkeit. Und er versprach bei Amtsantritt, für alle Bürger da zu sein, auch für die Migranten. Nun kann er wirklich Mut beweisen - und das Antizuwanderungsgesetz aufhalten.
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